Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Volkspark

Im Volkspark, Halle an der Saale, sieht es viel ordentlicher aus als im „Berliner Volkspalast". Anders als zeitgleich in Berlin war bei der „Documenta des Ostens" weniger der wilde Spieltrieb angesprochen als vielmehr der Intellekt. Nichts mit Sportification und chaotischen Geländespielen. In Halle geschieht, worauf man in Berlin bislang vergeblich wartet – die Politisierung des kulturellen Diskurses. Besucher und Teilnehmer der diesjährigen Werkleitz-Biennale müssen unheimlich viel lesen und bekommen in der Flut von neuen, oftmals als Schmugglerware in die Produkte der Kulturindustrie gepixelten Einsichten buchstäblich die Tür nicht mehr zu.

Zoellner Palast1

Foto: Rolf Zöllner

Das Festival für Medienkunst beschäftigte sich mit „Common property". Als sinnfälliges Logo des Ganzen fungierte gelbes Absperrband, das mit der Aufschrift „Allgemeingut" bedruckt war. Die politisch wesentlich eindeutigere Übersetzung „Gütergemeinschaft" vermied man. Sie stand aber bei der Biennale überall und besonders da im Raum, wo Französisch gesprochen wurde: La Commune. Im Volkspark von Halle wurde in diesen Tagen deutlich, daß man auch die DDR künftig ernsthaft auf ihre Erkenntnispotentiale für neue soziale Bewegungen hin befragen müssen wird. Erste Versuche mit Dokumentarfilmen aus dem Chemiekombinat Bitterfeld oder Bezugnahmen auf die sozialistische Tradition der Wandbilder ließen einen analytischen Ansatz allerdings noch arg vermissen. Die besondere deutsche Variante von praktiziertem Volkseigentum wird noch lange nicht zum international verfügbaren Lehrstück, indem man die herrenlos aufgefundenen Dokumente und Werke einfach nur zeigt. Sie müssen in heutige Begrifflichkeiten übersetzt werden, die diskursive Vermittlung der diversen Fundstücke wird zum Problem.

So simpel die Idee zunächst erscheinen mag, leistet das gelbe Absperrband dabei Erstaunliches. Auch wenn man die Instrumente noch schärfen müssen wird, ist das Terrain der Recherche mit Hilfe des Bandes schon einmal abgesteckt. Im dunklen Kinosaal ebenso wie auf den verschiedenen Diskussionspodien wurde das Etikett „Allgemeingut" in diesen Tagen erst einmal um alles gespannt, worauf die Menschheit im allgemeinen und die Hallenser im besonderen Ansprüche geltend machen.

Glaubt man den Beiträgen der Biennale, so ist die Phase des anarchischen „Jammens" vorbei. Das Foucaultsche Pendel schlägt wieder in Richtung Aufklärung zurück. Ästhetisch ist damit leider auch die Berliner Fassadenrepublik im Volkspalast auf dem absteigenden Ast. Ohne Verbindlichkeiten, ohne selbst kontrollierte Methodik ist engagierte, eingreifende Kunst nicht mehr denkbar. Diese Methodik hat eher das „Forster Tuch", eine Kunstaktion, bei der die Bewohner der Stadt Forst in der Lausitz auf die Suche nach den Vorstellungen von einer möglichen Zukunft gingen. Gemeinsam webten die Forster ein zweieinhalbtausend Quadratmeter großes Tuch. Es symbolisierte die verschwundene Textilindustrie und wurde bedruckt und beschrieben mit persönlichen Botschaften. Anders als beim Berliner Volkspalast wurde hier eine Methode angewandt, die auf ein wichtiges Problem reagiert, die zwar auch symbolisch blieb, aber eine Relevanz entwickelte und den Forster Bürgern etwas bedeutete. Vielleicht ist das Fehlen dieser Bestimmtheit der Grund, weshalb der Berliner Volkspalast sich so merkwürdig anschmiegsam in den Mc- Kinsey-Zirkus einfügen konnte.

Weit über 20000 Besucher, vielleicht sogar die doppelte Zahl, hört man, seien während der langen Nacht der Museen im Palast der Republik gewesen. Wie, wenn das in Wirklichkeit aber keinen Erfolg, sondern eine zwanzigtausendfache Enttäuschung bedeutet? Was haben die Leute in dem ollen Schrotthaufen eigentlich gesucht, und was, verdammt noch mal, haben sie mitnehmen dürfen? Die Wut über blöde Mauerspielchen? Das Gefühl der Verlorenheit, wenn man nach stundenlangem Anstehen Räume der Ratlosigkeit durchwandern darf, in denen es nirgends eine Haltestange, ein vernünftiges Wort oder einen organisatorischen Impuls gibt.

Beim Volkspark in Halle funktionierte das schon ein kleines bißchen besser. Mittels des gelben Bandes nämlich konnte man selbst öffentlich machen, welche Güter man substantiell für die Allgemeinheit zurückzuholen wünschte. Ausgangspunkt der Kuratoren in der Frage nach dem Common Property war ursprünglich die Debatte über Copyrights. Doch das Biennale-Thema erwies sich als nahezu uferlos. Die Kuratoren sahen dies als symptomatisch für einen erbitterten Kampf um alle verfügbaren Ressourcen. Enteignung und Privatisierung von öffentlichen Gütern gehen Hand in Hand mit der Einschränkung des Zugangs zu Wissen, Bildung, mit sinkender Sorgfalt bei der Pflege von Überlieferungen. In Halle fand die Biennale für ihre Thesen viel Beweismaterial. Pars pro toto begann die Veranschaulichung der bereits eingetretenen Verluste mit der verdrängten sozialistischen Geschichte des Ausstellungsortes, eben des 1907 in Arbeiterselbsthilfe auf dem Höhepunkt eines machtvollen Verbraucherboykotts errichteten Volksparks, der inzwischen nur noch eine lästige Immobilie zu sein scheint. Ein krasses Schlaglicht wurde auch auf das angegriffene kollektive Gedächtnis der Gastgeberstadt geworfen, die einen Teil ihrer musealen Sammlungen nicht mehr finanzieren kann oder will.

Common Property wurde auch auf Medien bezogen. Gesichter des Widerstandes zum Beispiel zeigte eine Auswahl von ciné-tracts über den Pariser Mai 1968. Die kollektiv produzierten, flugblattähnlich montierten Filmbilder waren ein wichtiges Instrument der Gegeninformation und halfen damals, die regierungsoffizielle Berichterstattung zu unterlaufen. Die eindrucksvollste Arbeit auf der Biennale war Peter Watkins Film La Commune. Darsteller, die an einer Filmdokumentation über die Pariser Kommune mitwirken, diskutieren während der Drehpausen in den historischen Kostümen von 1871 das politische Modell der Kommune, Themen wie soziale Reformen, Globalisierung, Mitbestimmung oder Ausländerfeindlichkeit. Wie selbstverständlich benutzen sie dabei ein „wir", das alle aktuell lebenden Menschen und die seit der Kommune vergangenen Generationen einschließt. Wo standen wir damals, und was geschieht uns heute? Eine junge Frau faßt die Diagnose zusammen: An der Reflexion der Situation mangele es keinesfalls ­ nie gab es mehr Wissen über das Ausmaß der globalen Misere ­ aber es herrsche ein beklagenswerter Mangel an wirkungsvoller Aktion. Warum setzen „wir" uns nicht kraftvoller zur Wehr? Aus der Gruppendynamik während des unkonventionellen Filmprojektes hat sich die Vereinigung „Rebond pour la commune" und die Kooperative „co-errances" gebildet, die sich seither mit gegenkulturellen medialen Produktions- und alternativen Distributionsformen profiliert. Es ist eines der vielen zwischen Sofia, Johannesburg und Mexiko-Stadt gespannten Netzwerke, die die Biennale im Schwerpunkt „Network of commons" präsentierte.

Im übrigen wurde in den Biennale-Nächten auch hier auf mehren Floors getanzt, daß der Putz von den maroden Wänden rieselte. Action follows reflection. Ob sich das die Berliner Zwischennutzer noch zu Herzen nehmen? Kommt die mobile Aufklärungseinheit noch zum Einsatz? Ist das Format einer Postkarte für die fällige Zwischenbilanz weiterhin sinnvoll?

Simone Hain, 3. September, Exterritorial

 
 
 
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