Ausgabe 08 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

ditte & menschenkind

Auf Demo

Nein, so nun auch wieder nicht, aber es liest sich so wie: Spinat auf Trüffel, also kurzum nouvelle cuisine. Das war schon einmal in und wird es wohl wieder werden. Ein Porréeblatt an Porzellan. „Nur daßte das Porzellan weglassen mußt, wenn es aus Meißen ist, fallste Hartz VI noch erlebst!" Menschenkinds Lebensmotto lautet: „Mit Ochs und Esel vorwärts immer!" und so hat er uns alle bereits überholt, ohne uns einzuholen, und ist schon bei Hartz VI. Nach seinem Dagegenhalten wird nach Hartz V, über dessen Eigenart er sich ausschweigt („Das kann man nur verstehen, wenn man es erlebt", so seine wörtliche Rede), die nächste Stufe, nämlich Hartz VI erreicht ... Soweit konnte auch Ditte bislang folgen. „Du mußt das wie ein Periodensystem sehen!" Die Porzellanzählung und Einziehung sei diese sechste Stufe, behauptet Menschenkind, und Ditte hat den Verdacht, daß er sich diese Zählung und Einziehung wünscht, denn er muß umziehen (Hartz IV).

Hat sich erst einmal herumgesprochen, daß einer arm dran ist, bekommt er von allen Seiten das geschenkt, was die anderen nicht mehr brauchen. Und so straft die materielle Gewalt, zu der sich die Idee derer mit dem Helfersyndrom ausgewachsen hat, den Beschenkten, der alles annehmen muß, um nicht undankbar zu erscheinen.

Das alles geht Ditte durch den Kopf, als sie an der Weltzeituhr steht, am Montag um 18 Uhr, und verschiedene Grüppchen beobachten kann, die sich offenbar heftig streiten darüber, wer hier bei der Montagsdemo der Erfinder ist und somit das Sagen hat. Also hat dieser Virus tatsächlich wieder einmal zugeschlagen. Nicht allein, daß die vorgeblichen Erfinder der Montagsdemo von 1989, von denen damals einige im kapitalistischen Ausland lebten, protestierten gegen den politischen Mißbrauch und die Unzucht mit Abhängigen, nein, auch die aktuell Ausübenden der Volksmacht scheinen sich nicht grün nach dem Motto: Wer ist am rötesten im ganzen Land? Jetzt kann Ditte Menschenkind verstehen, der sich geweigert hat, mitzukommen.

„Wenn Ochs und Esel sich streiten, freut sich der dritte Weg, den ich einzuschlagen gedenke. Ich werfe weg."

Sollte sie doch besser an die Seite ihres Gefährten eilen, und mit ihm gemeinsam das wegwerfen, was einmal für die Zukunft gedacht war? „Wann willst du das denn alles lesen?" war Dittes Frage, als sie zum ersten Mal vor Menschenkinds Bücherwänden und -haufen stand und er eigentlich was ganz anderes von ihr wollte, als solche deserotisierenden Fragen gestellt zu bekommen. „Später, wenn ich mal groß bin", war seine Antwort, und nun ist er alt im landesüblichen Sinne und wirft seine Bücher weg, weil sie keiner haben will, und selbst die Initiative, die er angerufen hatte, wollte sie nicht. „Die haben wir schon doppelt und dreifach!", so hatte der Fahrer des Lieferwagens mit der Aufschrift „Wir holen Sie da raus!" Menschenkind und seine Bücher stehengelassen. „Die Parze des Rinnsteins zerschnitt die Fäden!" hatte da Menschenkind so traurig gemurmelt, daß Ditte sofort Menschenkind küßte, ohne, wie sonst üblich, zu fragen: „Von wem ist denn das schon wieder?"

Dann haben sie es gemeinsam zu packen versucht, was aber leider nicht klappte, weil Menschenkind eines der oben liegenden Bücher ergriff, eine Seite aufschlug und jubelte: „Ja, paßt das nicht wie der Mops zur Möhre? Hör mal!" Und er setzte sich auf die zweite der stehengelassenen Bücherkisten und las vor: „Ein Land ändert sich nicht ... das gibt es nicht. Nur die Formen ändern sich, in denen sich das Leben äußert.' Blablabla, und hier: Eine der schauerlichsten Folgen der Arbeitslosigkeit ist wohl die, daß Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Kriege: Wer die Butter hat, wird frech. Zwar jammern die Arbeitgeber, heutzutage kann man ja niemandem mehr kündigen, keine Sorge, man kann. Und so wird Arbeit und Arbeitsmöglichkeit noch zu jämmerlichsten Löhnen ein Diadem aus Juwelen und ein Perlengeschmeide. Ignaz Wrobel. 14. Oktober 1930.'"

Und wie sie so die heftigste Sehnsucht bekommt, legt sich ein Arm um ihre Schultern. „Menschenkind!" „Warte mal mit Deinen Zärtlichkeiten!" Er rollt sein Transparent auf, ein Laken, das er wegwerfen wird. Darauf steht: Wer die Butter hat, wird frech!

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

 
 
 
Ausgabe 08 - 2004 © scheinschlag 2004