Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Mackenköpfe oder Querdenker?

Im Haus der Demokratie hat sich das „Projekt Alltag" des einstigen taz-Vorläufers ID (Informationsdienst für unterbliebene Nachrichten) einquartiert, das im wesentlichen aus dem Berkeley-Absolventen Dr. Richard Herding besteht. Er betreut marginale Einzelfälle – sogenannte „Querulanten". Dabei unterscheidet er zwischen Meinungs- und Interessens-Querulanten. Nur die letzteren werden öffentlichkeitswirksam unterstützt. So berichtete vor kurzem die Querulanten-Redakteurin der taz, Barbara Bollwahn, über den Berliner Prozeßbeobachter Oskar Walther, der Gerichtsprozesse besucht und anschließend deren Wahrheitsfindung kritisiert. Aber die Justiz will einfach nicht auf ihn hören. Für Dr. Herding wäre das ein typischer Fall von Meinungs-Querulanz. Ein Interessens-Querulant ist dagegen z.B. ein Türke im Taunus, der sich mit seinem Arbeitgeber und allen möglichen Stellen überworfen hat und abgeschoben werden soll. Auch „Bild kämpft für Sie" weigerte sich, da aktiv zu werden. In solch einem Fall kümmert sich das „Projekt Alltag" zunächst um Anwälte, Pfarrer, Sozialarbeiter, grüne Abgeordnete und den Rest der Helferwelt: „Für die meisten sind solche Fälle gegenüber dem normalen Berufsethos marginal", beklagt Dr. Herding, „das hat u.a. auch die Linke verschuldet, weil sie strategisches Denken in jeden Helferkopf eingehämmert hat: Was nützt es, einen Knacki rauszuholen? Man muß alle rausholen! Oder: Was nützt es meiner Karriere – diese individuelle Hilfeleistung? Ein konservativer Pastor sagt im Falle des abgeschobenen Türken vielleicht: ,Verdammt noch mal, das darf aber nicht passieren!' Ein linker Pastor dagegen: ,Ja, siehst Du denn nicht die allgemeine Ausländerfeindlichkeit?!' Darüber hinaus ist ein sogenannter ,hoffnungsloser Fall' auch noch meistens so definiert, daß er sich selbst und dem Helfer früher oder später ins Gesicht schlägt."

Die meisten müssen sich deswegen mit querulatorischer Beharrlichkeit selbst helfen. So führte z.B. der arbeitslose Ostberliner Philosoph Lothar Feix einen anderthalbjährigen zähen Papierkrieg gegen diverse Behörden, um nicht zum Gärtner umgeschult zu werden. Zur gleichen Zeit kämpfte in Heidelberg der arbeitslose Musiker Torsten Lech mit diversen Behörden, um eine Umschulung als Gärtner bewilligt zu bekommen. Beide konnten schließlich ihren Willen durchsetzen, aber dazu mußten sie erst Hunderte von Seiten mit peinlichsten Selbstauskünften, ärztlichen Gutachten, Widersprüchen, Bitten per Einschreiben und eigensinnigen Gesetzesinterpretationen abliefern. Die beiden sind sich nie begegnet, und auch ihre amtlichen Gegner kennen sich nicht. Ganz sicher werden sie die beiden jedoch als Querulanten einschätzen, schon allein aufgrund des Umfangs ihrer Schriftsätze, wobei man schließlich ­ vielleicht um des lieben Friedens willen ­ klein beigab.

Das war nicht immer so: In Goethes Weimar wurde bereits das Verfassen von bäuerlichen Fron-Beschwerden mit Zuchthaus bestraft, und während der Nazizeit kamen Querulanten sogar ins KZ. Noch in den siebziger Jahren arbeitete man in der Schweiz an einer Querulantenkartei für die Behörden ­ eine Art Entmündigungsraster der damals zukünftigen Dienstleistungsgesellschaft. Wobei gerne tautologisch argumentiert wird: „Er ist ein Querulant, weil er gegen alles ist, was die Behörden und Gerichte anordnen, z.B. auch gegen die Beiordnung eines Pflegers; das bestätigt, daß er ein Querulant ist, was wiederum besagt, daß er einen Pfleger braucht und entmündigt werden muß." Noch immer wird die Querulanz in der Schweiz ­ aber auch in Holland ­ heftig diskutiert. Den einen gilt sie als Beleidigung, den anderen als Ehrbezeichnung à la Querdenker.

In Deutschland ermittelte eine Forschungsgruppe an der Bremer Universität vor einiger Zeit, daß über 80 Prozent aller höchstrichterlichen Entscheidungen von Querulanten erwirkt werden. Im Justizalltag werden derartige Entscheidungen zumeist als Verbesserung einer unklaren bis überholten Rechtssituation angesehen. Inzwischen gibt es bereits mehrere Zeitungen von linken regionalen Gruppen, die stolz Querulant heißen. Der Querulant abseits der Institutionen und reibungslosen Geschäftigkeiten wird als Sonderling begriffen – und von seinen Mitmenschen als starr- bzw. eigensinnig erlebt, jedenfalls in Deutschland. In den USA gibt es nicht einmal ein Wort für Querulant. Nur in den jüdischen Gemeinden kennt man hier und da noch den Kwetscher: jemanden, der besonders hartnäckig seine Interessen vertritt. In Amerika war jedoch immer der Bürger vor dem Staat da. In Europa ist es umgekehrt, zudem verlangt man dort von jedem, daß er permanent für sich kämpft, wobei die Höhe des Einkommens Indikator für den Erfolg ist. Gleichzeitig findet man dort jedoch auch nichts dabei, wenn ein einzelner monatelang mit einem Protestplakat vor einer Bank oder einem öffentlichen Gebäude demonstriert. Hier wäre so jemand ein querulatorischer Mackenkopf, dem man eher aus dem Weg geht. In England würde man ihn dagegen als Exzentriker ansehen. Katharina Rutschky meint: Der englische „Exzentriker opponiert, wo er geht und steht. In einem Land dagegen, in dem der kategorische Imperativ so populär geworden ist, daß der Eindruck, von einem freiwilligen Polizeikorps statt von Bürgern umgeben zu sein, oft genug der richtige ist – in einem solchen Land kann es keine Exzentriker geben. Kant hat leider nicht ahnen können, daß seine Erfindung viel weniger der Moral als der gesellschaftlichen Verfahrensregelung zugute kommen würde, die in so klassischen Bürokratensätzen sich verewigt wie ,.Da könnte ja jeder kommen' – ,Wenn das alle so machen würden!' – ,Das ist nun mal Vorschrift'..."

Mit dem Umbau des Staates durch Privatisierung seiner Versorgungsunternehmen bei gleichzeitigem Ausbau seiner Sicherheits- und Überwachungsfunktionen ist derzeit ein anschwellender Querulanten-Strom zu verzeichnen, der quer zu dem der Migranten und Hartz-IV-Geschädigten verläuft. Ihm kommen all jene Künstler und Intellektuellen entgegen, die den individuellen Widerstand predigen, wie er z.B. den postfaschistischen Guerillatheoretikern Schmitt, Jünger und Schroers als „Young Urban Partisan" aufschien ­ und dann von Michel de Certeau als „Kunst des Handelns" begriffen wurde.

Die taz bekommt täglich drei bis vier Briefe von Querulanten. Sie hat keine Redaktion dafür, aber gelegentlich zeigt dieser oder jener Journalist ein spontanes Interesse. Es gibt unter ihnen welche, die halten diese „Hilferufe" sogar für die einzig echte Korrespondenz, wohingegen sie die ganze andere Post als „Werbung" abtun.


Illustration: Steffen Schuhmann

Bei den echten Querulanten handelt es sich einmal um emeritierte Professoren bzw. Ingenieure, die ihre Tinte nicht halten können und laufend irgendwelchen Mächtigen oder Prominenten (wie Bush, Blair oder Schröder) schreiben müssen, was sie nun schon wieder falsch gemacht haben. Es sind also Hobby-Politikberater, und da die Beratenen ihnen nie antworten, schicken sie auch immer noch eine Kopie ihrer oft zehnseitigen Ratschläge an die „Medien". Ihre Briefe sind oft entsetzlich fade!

Interessanter sind die richtigen Querulanten aus dem Volk, die ihre Briefe samt den Umschlägen nicht nur gerne mehrfarbig per Hand gestalten, sondern auch mit Graphiken, Fotos usw. versehen. Manchmal schreiben sie 30 Seiten ­ und nichts davon darf ohne ihre Genehmigung gekürzt werden; hinzu kommen im Anhang oft noch Kopien ihres Passes, ihres Führerscheins, ihres Mietvertrages usw. Inhaltlich geht es ihnen meist um paranoische Konstruktionen und Denunziationen, z.B. „Alwin Meyer, Hoya, Kirchweg 12, ist ein übler Kinderschänder und muß mitsamt seiner ganzen Sippe ausgerottet werden!" oder: „Der Spediteur Dietrichsen, Hameln, Am Markt 3, bescheißt seit Jahren systematisch das Finanzamt!" Zunehmend gewinne ich auch an den Briefen von Alt- und Neonazis Gefallen: Erstere nehmen meist einen öffentlichen Akt ­ Schröder zum D-Day in der Normandie oder Köhler an der Stauffenberg-Gedenkstätte ­ zum Anlaß, um noch einmal ausführlich über alle Kriegsverbrecher (Engländer, Amerikaner und Franzosen) herzuziehen, wobei sie natürlich auch den „Hauptfeind" ­ den Kommunismus ­ nicht verschonen. Letztere versuchen sich immer wieder gerne an zwar historisch unhaltbaren, aber dafür umso liebevoller gestalteten Ehrenrettungen irgendwelcher echtdeutscher Massenmörder. Ihre letzte diesbezügliche Großtat firmierte unter dem schönen in Vorpommern ausgedachten Slogan: „Opa war in Ordnung!" Mir gefällt daran das naive Engagement ­ im Gegensatz zu den professionell und politisch-korrekten Büchern unserer deutschen Jungprofessoren, die mit ihren angepaßten Langweilertexten primär Karriere machen wollen.

Die vierte Sorte Querulanten besteht aus armen Ausländern, die von Ämtern und Unternehmen nach Strich und Faden beschissen wurden: Einer rußlanddeutschen Familie ohne Einkünfte gab die Deutsche Bank z.B. erst einen 500000-DM- und dann noch mal einen 200000-Euro-Kredit. Einer anderen (türkischen) Familie verweigerte die Dame vom Sozialamt sämtliche Bezüge ­ mit der Begründung, „die sind nur für Deutsche!" Viele Querulantenbriefe kommen aus dem Knast ­ mit der Bitte, doch mitzuhelfen, die Unschuld des Betreffenden zu ermitteln, wobei die Angaben dazu jedoch meist dürftig sind.

Die sechste Kategorie von Querulanten besteht aus „Prozessierern". Ihre Briefe sind die längsten und meist geht es um „Hintergrundinformationen" zu ihrer Klage ­ z.B. gegen „das Landgericht Münster", „den Bürgermeister von Fulda", „den Landrat von Oldenburg" oder gleich gegen die NATO, die UNO, alle Regierungen usw.

Die siebte Kategorie besteht aus völlig vereinsamten Fernsehguckern, die einfach einen „Ansprechpartner" brauchen, ohne daß sie jedoch irgendwas zu sagen haben: Ihre Briefe sind oft verwirrend.

Sehr klar geschrieben sind hingegen die Briefe einer letzten Kategorie von Querulanten, wobei hier die Autoren selbst eher verwirrt erscheinen: Es handelt sich um Leute, die einen Empfänger im Kopf haben ­ und also permanent Stimmen hören, wobei sie das nicht als ihr Problem begreifen, sondern als einen äußeren Feind, der sie mit einem starken Sender bedroht. Sie möchten, daß der geortet ­ und sodann zerstört wird. Diese „Stimmenhörer" haben in letzter Zeit zugenommen. Dies hängt sicherlich mit der Globalisierung und den elektronischen Medien zusammen, was aber sauber, historisch-materialistisch aus der Wirklichkeit selbst abzuleiten, mein Zeitbudget als Aushilfs-Postverteiler der taz entschieden überfordert.

Helmut Höge

 
 
 
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