Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Verarbeitungsprobleme

Der Autor als blinder Passagier

1. Vom Bleistift zum Schirm: Erste Texte kritzelte ich damals mit Bleistiften in Kladden, immerhin war mir Handkes Geschichte des Bleistifts von einer Freundin geschenkt worden. Jene schöne Handkehandschrift also, die von Philologen als Ausdruck dichterischer Potenz gefeiert wird, zog sich störungsfrei über faksimilierte Seiten; ein sanftes Wogen, so zu schreiben vermochte ich nicht. Ein Kritzeln stattdessen, die Krümel vom Radiergummi zwischen den Seiten. Irgendwann sammelte ich handschriftlich nur noch Substantive als unumstößliche Pfeiler, zwischen die auf der Schreibmaschine die erforderlichen Brückenelemente eingehängt werden konnten. Halbsätze, Wortketten um den Preis durchstoßener Farbbänder; viel Schmutz auf der Walze. Irgendwann jedoch war das Bedürfnis da, die Sachen intensiver zu bearbeiten, konzeptuell zu fragmentieren, Elemente zu kombinieren oder zu iterieren. So wechselte ich vom Stückschreiber zum Materialverarbeiter, der fallweise arrangiert: Sehr bald ersetzte ich Schere und Klebstoff durch einen Zwölfzoll-Farbmonitor, sprang von Olympia zu Apple, vom Farbband zum Laserwriter. Ein Durchstieg ins Immaterielle, der Zeit verschlang: das Erproben der Oberflächen, das Sichverzweigen in den Möglichkeiten, Nächte mit Applikationen und Simulationen. Ich bemerkte, daß die Arbeit am Schirm das Schreiben veränderte, die Textvorstellung. Das Auflösen der linearen Ordnung, dem Zeilenfall zu folgen, war nur eine der Bewegungen: Texte als Montagen zu interpretieren und nicht mehr als Geschichten zu lesen; ein Gefühl für Felder und Häufungen zu entwickeln, für Wahrscheinlichkeiten. Wichtiger noch war die mit dem Computer leicht nachvollziehbare Verabschiedung des klassischen Werkbegriffs: Arbeitsstufen werden mit jeder Speicherung einfach verschlungen, es gibt nur noch die Fragilität der Datei, die jederzeit Nachträge erlaubt, Eingriffe von irgendwoher, Verzerrungen beim Transfer zwischen den Operating Systems. Keine Handschriften mehr, die gesammelt werden könnten, allenfalls Publikationsstufen, Zustände von Daten. Die Hand des Autors ist damit aus dem Spiel, könnte man meinen, man kommt näher an die Texte heran, zur Interaktion.

2. Schreiberzunft: Wer aber (wie ich als Mitherausgeber einer Literaturzeitschrift) täglichen Umgang mit Textdateien von Autoren hat, bemerkt, daß Eigenart so leicht nicht verschwindet: Typische Weisen der Verwendung der Möglichkeiten des Textverarbeitungsprogramms, des Einsatzes von auf der eigenen Festplatte installierter Schriften etc., belegen, daß meist weder ein Verständnis für die benutzte systemische Technologie besteht, noch die Bereitschaft vorhanden ist, die eigene Textmenge diesem System zur Verarbeitung zu überlassen, eben nicht zur Wiedergabe. Daß Seitenwechsel von Lyrikern noch immer mit einer Reihe von Absatzmarken herbeigeführt werden, wäre nicht allzu wesentlich, wenn es nicht exemplifizierte, daß Autoren ihre Werkzeuge so wenig beherrschen wie Fahrradfahrer, die ein Loch im Schlauch nicht zu flicken imstande sind, im übrigen stets im gerade eingelegten Gang vorantreten, da sie sich mit der Funktionsweise der Schaltung noch nie auseinandergesetzt haben. Autoren sind in der Mehrzahl heute blinde Passagiere ihrer Produktionsmittel, einem pittoresken Selbstverständnis ihrer Profession verhaftet, eine Art Zunftanhänger in der postindustriellen Dekade: selbstverschuldete Unmündigkeit, wie man sie ansonsten nur bei Serien-Starlets und Topmanagern findet. Kein Wunder, daß Autoren im Erfolgsfall solchen Medien-Ikonen zu gleichen beginnen. Das digitale Zeitalter hat in dieser Literatur nicht begonnen: Man liest ja nicht, um auf der Höhe der Zeit zu sein, sondern um sich geborgen zu fühlen, um Identität oder Gesinnung zu inhalieren. Das Vernetzte, die nicht mehr klar zuordenbaren Bewegungen, das Im-Fluß-Bleiben von Textmengen, die keine religiös-erweckende Funktion mehr haben, von daher auch nicht aufzusagen sind wie Mantras oder Eidesformeln, sickert allerdings durch die Kanäle, irgendwo ...


3. Knoten und Karten: Das Netz, das die obere Hälfte der Welt umspannt, um Kreditkartennutzern das Beziehen von Waren zu erlauben, kann noch autonom genutzt werden; es verhält sich kaum anders als die analoge Post, die längst zum Lieferanten von Werbewurfsendungen und Zusteller von Zahlungsaufforderungen für via Paketdienst gelieferte Produkte umgewidmet worden ist. Beide Systeme erlauben es noch, nichtkommerzielle Daten zu übertragen, auch wenn sie im Kern für andere Aufgaben optimiert werden. Das Netz ist eine Freihandbibliothek, man kann sie ebenso nutzen: stöbernd, sich verlaufend. Die Ermittlung der Daten erfolgt chaotisch, fast zufällig, es entstehen Durchstiege zu Wissensformen, die außerhalb akademischer Hierarchien oder medialer Marktmacht neue Verknüpfungen ermöglichen. Die taktische Erfahrung mit den Netzen ist freilich für Epigonen des Bildungsbürgertums nicht nachvollziehbar, weil sie methodisch das tradierte Bildungsideal verfehlt und der Eitelkeit vergangener Eliten keinen Respekt zollt. Texte, die sich aus der Bewegung durch Netze generieren, gleichen indessen temporären Karten unserer In-Formation. Man wird sich an sie zu halten haben, um über ICH-AGs oder WIR-SIND-DAS-VOLK.DE hinauszukommen. Der Rest ist engagierte Beschaulichkeit, Identifikation mit historischen Widerstandsformen, die schon überwunden sind, unter einem Himmel über den Städten, der die Farbe eines Fernsehers hat, der auf einen toten Kanal eingestellt ist ...

Ralf B. Korte

Ralf B. Korte, Autor und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift perspektive. Aktuell: Ralf B. Korte & Elisabeth Hödl: FM dj. reading „reise durch die nacht". Ein elektronischer Briefroman, Bielefeld 2004

 
 
 
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