Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Viele schöne Momente

Gratis-Kinderbetreuung in der Gartenlaube

Im Sommersemester 2004 stand im Garten des UdK-Hauptgebäudes in der Hardenbergstraße ein Haus. Ende Juli ist es wieder abgebaut worden. Die aus Metallträgern, Zeltplanen und Spanplatten wild zusammengeschusterte Baracke mit dem programmatischen Namen „Haus Selba" war das Werk einer Gruppe Studenten, die mit dieser Aktion der studentischen Selbstorganisation an der UdK wieder mehr Raum verschaffen wollten. Das 1989 im Zuge der Studentenproteste gegründete Modell der „Freien Klasse" sollte den veränderten Bedingungen und Ansprüchen angepaßt werden.

Haus Selba wendet sich gegen den „Mangel an Raum und Ort für einen Dialog zwischen Studenten über die Klassen hinaus und gegen einen Mangel an Ort, der sich durch Teilnahme definiert und nicht durch Abgrenzung". Fraglich ist allerdings, ob tatsächlich keine Möglichkeiten eines klassenübergreifenden Dialogs vorhanden sind oder ob diese von den Studenten nur nicht wahrgenommen werden. Zu befürchten ist letzeres. Dennoch habe es „vor allem am Ende viele schöne Momente gegeben, als sich viele eingebracht haben", meinen Johannes Räther, Kathrin Sonntag und Sophie Trenka-Dalton vom Selba-Team. Sie zeigen sich trotz der notwendigen „Korrektur der Erwartungen, was die Beteiligung der Studierenden betrifft", insgesamt zufrieden mit der Akzeptanz ihres Projektes.

Wie aber die von Haus Selba geforderte studentische Selbstorganisation konkret aussehen soll, lassen die drei engagierten Studenten offen. Sie meinen vielmehr, daß jede interessierte Gruppe das selbst definieren müsse. Diese Unverbindlichkeit könnte sich allerdings negativ auf die politische Handlungsfähigkeit auswirken: Wenn konkrete Umsetzungsvorschläge fehlen, können die Forderungen nach mehr Selbstbestimmung im Rahmen des Kunststudiums gegenüber Politik und Administration schwer eingefordert werden.

Doch auch ohne offizielle Zustimmung läßt sich Selbstbestimmung praktizieren. Dementsprechend versuchte Haus Selba mit seinen auf das Thema Selbstbestimmung innerhalb künstlerischer Institutionen fokussierten Diskussionen, Lesungen und Filmvorführungen die Studenten aus ihren Klassen und ihrer Selbstbezogenheit herauszuholen. Denn unter ihnen sei durchaus ein kritisches Bewußtsein auszumachen, nur würde es nicht öffentlich artikuliert, meint das Team von Haus Selba. Aufgabe des Projekts sei es deshalb gewesen, „dieser Kritik eine physische Präsenz in der Universität zu geben, anstatt sie lediglich theoretisch zu formulieren".

Aber muß ein politisches Anliegen, nur weil es im Rahmen einer Kunstuniversität vorgebracht wird, immer auch als Kunstprojekt gehandelt werden? Das Team von Haus Selba zumindest findet, ihre „Akademie in der Akademie" sei sowohl eine Art „Kommunikationsplattform", als auch ein Kunstprojekt gewesen. Denn, so die Argumentation, „Kunst kann Kommunikationszusammenhänge schaffen und diese dann auch im Kunstbetrieb repräsentieren".

Die Gratis-Kinderbetreuung anläßlich des Rundgangs an der UdK Berlin im Juli 2004 sollte einerseits das Haus „in Aktion" zeigen, andererseits auf die sozialen Bedingungen des Studierens an der Universität aufmerksam machen, die sonst in den Klassen nicht thematisiert werden. Im Gegenteil werde vorausgesetzt, daß „den Studierenden immer genügend Zeit und Produktionsmittel zur Verfügung stehen, um ganz vorne mitzuspielen". Die Frage nach wirtschaftlicher und sozialer Realität werde „mit dem Verweis auf die Autonomie der Kunst einfach nicht diskutiert."

Das Team von Haus Selba ist sich der Gefahr durchaus bewußt, daß Projekte wie dieses von institutioneller Seite ausgenutzt werden können, betonen aber, es sei nicht ihre Praxis „sich zurückzulehnen mit der Begründung, die Widersprüche eines solchen Handelns nicht aushalten zu können". Wichtig ist ihnen außerdem, das Projekt weiterzuführen, auch nachdem das Haus Ende Juli abgebaut worden ist. Einige der Projektbeteiligten werden sich also weiterhin mit der sozialen Realität der Schule beschäftigen, andere ihre eigene künstlerische Arbeit wieder mehr in den Vordergrund stellen. Denn so ein Haus verzehre schon unglaublich viel Energie. Sicher sei auf alle Fälle, daß „das Modell der Freien Klasse als unabhängige Projektplattform für alle Studenten" weiter ausgebaut werden müsse. Sonst schlafe das wieder ein.

Ingrid Hölzl

Mehr Informationen über das Haus Selba unter www.interflugs.de unter dem Link „Freie Klasse"

 
 
 
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