Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Firma

Kritik am Bau (V): die neue ver.di-Zentrale

Die Media-Spree ist optimistisch. Der Investorenbund will das Spreeufer rund um den Ostbahnhof entwickeln, und immer mehr Unternehmen kommen. Der Ausblick ist hübsch, das Land billig, die Lokalpolitik zuvorkommend. Ohne große städtebauliche Auflagen können sich die Firmen die „unverwechselbaren architektonischen Markenzeichen" errichten, die sie für Selbstbewußtsein und Werbewirkung brauchen. „Signature Buildings" nennt die Media-Spree solche Gebäude.

Zwischen Schillingbrücke und Köpenicker Straße hat sich ver.di, die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft, ihre neue Zentrale gebaut. Ein achtgeschossiger Block mit einer endlosen schweren Fassade: rot verklinkert, fast türlos und nur zurückhaltend mal mit senkrechten Vorsprüngen, mal mit Fensterbändern und schmalen Balkonen gegliedert. Nur zur Spree öffnet sich der Block und endet scharf abgeschnitten in zwei Flügeln; dazwischen ein haushoch verglastes Atrium.

In öffentlichen Gebäuden gilt: Keine Angst vor Pförtnern! Meist fragen sie nur, ob sie helfen können, man verneint dankend und geht vorbei. Bei ver.di ist das nicht so einfach. „Ohne Besucherkarte kommen Sie hier nirgendwohin", tönt es aus der elegant gerundeten Pförtnerloge. Nur das weite, kahle Foyer steht dem spontanen Gast offen; wer will, kann noch in die Betriebskantine eindringen oder im Buchladen was zu lesen kaufen. Man kann auch um den Konferenzsaal schlendern, der sich als massiver roter Kasten in die Halle schiebt, oder auf ihn hinauf zur kühl möblierten, menschenleeren Lobby. Dann folgen die Flügel und der Hof ­ aber nur mit Anmeldung. Selbst innerhalb der Bürotrakte steht man vor verschlossenen Türen, sobald man aus dem Aufzug tritt.

Gewerkschaftshäuser haben in Berlin eine große Tradition. Dutzende Arbeiterverbände hatten hier vor dem Krieg ihre Zentralen gebaut. Es waren Gemeinschaftshäuser, mit Büros und Versammlungsräumen, aber auch Bibliothek, Schulungs-, Schlaf- und Eßsälen, Läden und Kegelbahnen. Bis zur Besetzung durch die SA sollen diese ersten Häuser sehr lebhaft gewesen sein. Zu ihrer braven Architektur sagte Clara Zetkin: „Das geistige Leben der Arbeiterklasse hat bis jetzt noch nicht den geringsten Ausdruck in der architektonischen Formensprache gefunden." Erst später erfanden kluge Architekten wie Erich Mendelsohn und die Brüder Taut eine Art Gewerkschaftsarchitektur. Die berühmtesten Gebäude dieses Typs sind wohl das Haus der Metaller an der Alten Jakobstraße und die Zentrale des „Gesamtverbandes", eines ÖTV-Vorläufers. Es eröffnete 1930 am Engeldamm, nicht weit von der heutigen ver.di-Zentrale. Eine klare, schwungvolle Form, elegante Details und eine weit gerasterte Fassade, wie sie für die frühe, „heroische" Moderne typisch war. Das Erdgeschoß war verglast; hier befand sich u.a. ein gewerkschaftseigenes Warenhaus.

In den Neunzigern wurde es von der ÖTV aufwendig saniert, dann hob der Senat – nach Räumung einer Wagenburg – auf der anderen Straßenseite das alte Engelbecken wieder aus, flutete es und mit ihm die undichten Keller des Gewerkschaftshauses. Eine zweite Sanierung sparte sich die ÖTV. Sie ging auf in der ver.di; gemeinsam zog man an den Potsdamer Platz und jetzt ins neue Haus an die Spree.

Die Umzüge wurden oft als Luxus kritisiert. Aber zumindest der letzte war eher eine Sparmaßnahme, erklärt Klaus Hummel, der die Gewerkschaft bei den Bauverhandlungen vertrat. Es mußte schnell gehen, denn am Potsdamer Platz wurde ein neuer, millionenschwerer Mietvertrag fällig. Also bestellte man das Projekt schlüsselfertig beim Projektentwickler. ver.di überließ diesem den Entwurf und Bau, einschließlich der Abwicklung der örtlichen Wagenburg, des „Schwarzen Kanals", und bezog ein Von-der-Stange-Haus mit zwei entscheidenden Qualitäten: Es ist schon fertig, und es wirkt neutral. So mußte ver.di nur zwei Drittel kaufen, der Rest verblieb beim Entwickler. Dort sitzt nun der Berliner ver.di-Landesverband, als Mieter. Falls ver.di schrumpft, kann man das Haus abschnittsweise an Fremdfirmen vermieten. Die „eher durchschnittliche" Gebäudesicherung begründet Hummel übrigens nicht mit der Angst vor einem neuen SA-Sturm. Am Potsdamer Platz wurde einfach zu viel geklaut.

Kühler Pragmatismus steht einer Gewerkschaft gut zu Gesicht. Aber sollte sich der Kampfbund der Büroarbeiter nicht etwas weniger hermetisch, hierarchisch und bieder präsentieren als eine Bankzentrale? Wäre nicht eine Fassade drin gewesen, die außer rot und hart auch kraftvoll und dynamisch ist, eine Nutzungsstruktur, die sich um Offenheit wenigstens bemüht, ein einladendes Foyer, ein Vorplatz, auf dem man sich versammeln kann? Hatte ver.di denn gar keinen Einfluß auf den Entwurf?

Immerhin ­ das Haus hat schöne, dramatische Stellen. Nur sind sie von Pförtnern und Vorständen besetzt. Die einen beherrschen das Foyer, die anderen die Büros zur Spree, die in spitzen Balkons auslaufen und einen wahrhaft strategischen Ausblick bieten: hinaus auf den Fluß, auf die „Signature Buildings" der anderen Firmen.

Johannes Touché

Zur offiziellen Eröffnung ihrer Zentrale plant ver.di eine Ausstellung: „100 Jahre Gewerkschaftsarchitektur". Ab 28. September bei ver.di, Paula-Thiede-Ufer 10, Mitte

Foto: Antje Lüddecke

 
 
 
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