Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Kunst des Verpackens

Hiroko Tanahashi zeigt den japanischen Kult um den Reiseproviant

In Zeiten, in denen ein Flug nach Rom weniger kostet als dreimal mit der BVG zu fahren, ist eine Auseinandersetzung mit speziellen Formen des Reiseproviants eigentlich ein Anachronismus. Wer setzt sich denn noch den langwierigen und unbequemen Zugreisen aus, wenn es anders schneller und bequemer geht? Und auf das in Plastiktüten verschweißte Gummibrötchen an Bord kann man gerne verzichten, wenn man innerhalb kürzester Zeit am Zielort ist. Dennoch versucht uns die seit zwei Jahren in Berlin lebende Künstlerin Hiroko Tanahashi in ihrem „Zagreus Projekt" mit Hilfe des Galeristen und Kochs Ulrich Krauss eine japanische Eigenart der Reiseverköstigung näher zu bringen, wie man sie hierzulande nicht kennt.

Ein Bento ist ein japanischer Eßbehälter mit kleinen Fächern, in die die verschiedenen Speisen gefüllt werden, und einem extra Ablegesteg für die Eßstäbchen. Man kann diese Bentos von zu Hause mitnehmen oder am Bahnhof in speziellen Geschäften kaufen, woher diese Art des Speisens auch seinen Namen hat: Ekiben. Eki heißt Bahnhof, Ben kommt vom Bento. Sushi spielt hier im übrigen eine sehr untergeordnete Rolle. Auf die Speisen wird ein sogenanntes Kakegami, ein gefaltetes Papier, das den Namen und Inhaltsinformationen eines Bentos enthält, gelegt. Es soll als „Eyecatcher" die Kunden zum Kauf animieren und ist oft sehr bunt, zuweilen auch sehr künstlerisch gestaltet. In Japan hat sich um diese Wegwerfbehälter, die sehr viel einfallsreicher und liebevoller als unsere Tupperware-Becher gestaltet sind, eine regelrechte Industrie herausgebildet. Tanahashi hat dazu einen Fabrikbesitzer interviewt und das Gespräch auf Video aufgenommen.

Die meisten Bentos sind aus Plastik oder Bambus, es gibt aber auch aufwendigere aus Keramik und Porzellan, die man dann natürlich nicht wegwirft. Trotzdem wundert es viele Europäer, welchen Aufwand die Japaner für einen Wegwerfartikel treiben. Aber die Künstlerin hat beobachtet, daß in ihrem Heimatland das Visuelle beim Essen eine ganz besondere Rolle spielt und es einen regelrechten Kult um die Kunst des Verpackens von Reiseproviant in kleine effiziente Einheiten gibt.

Um uns die Situation und den Kult um die Bentos näherzubringen, hat Hiroko Tanahashi im größeren Raum der Galerie 16 Zugsessel mit Klapptischen aus den sechziger Jahren so aufgestellt, als bildeten sie einen Großraumwagen. An den Wänden hängen Leuchtkästen, in denen sie Geschichten schildert, die zum Teil auf Tatsachen beruhen, zum Teil erfunden sind. Zu all diesen Geschichten hat sie sich eine ideale Bento-Füllung ausgedacht. So zum Beispiel zu Clärenore Stinnes, die auf ihrer Weltreise in den Jahren 1927-29 auch nach Japan kam, und der man damals ein eigenes Kakegami gewidmet hatte. In dem ihr gewidmeten Bento befinden sich neben japanischen Speisen auch Berliner Bouletten. Obwohl es sich bei den Bentos doch eher um schnelle Speisen handeln sollte, steht Ulrich Krauss bis zu sieben Stunden für die Vorbereitungen in seiner Galerieküche, um am Abend Gästen diese speziellen Bentos an den Zugsitzen in der Galerie zu servieren. In sieben Stunden wäre man auch fast schon in New York. Nur ob man auf dieser Flugreise wirklich so ein schön zubereitetes Essen bekommen hätte?

Spunk Seipel

„delicious moves" von Hiroko Tanahashi noch bis zum 26. September in der Koch-Kunst-Galerie, Schröderstr. 13, Mitte, Zugang über den Hinterhof oder durch die Galerie Markus Richter

 
 
 
Ausgabe 07 - 2004 © scheinschlag 2004