Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Durchhörbares Tagesbegleitprogramm

Die öffentlich-rechtliche Kulturradiounkultur

Das öffentlich-rechtliche Kulturradio kriselt. Längst haben die einzelnen Sender reagiert und einen Reformprozeß der Programmstrukturen eingeleitet, der bei den einzelnen Wellen mittlerweile abgeschlossen ist. So auch beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB): Bei der aus SFB und ORB fusionierten Länderanstalt wurde aus zwei Kulturwellen eine gemacht: Das RBB Kulturradio, seit dem 1. Dezember auf Sendung, entstand aus der Radiokultur, einer Kooperation von SFB und ORB, und dem ORB Radio 3.

Begründet wird die Notwendigkeit eines veränderten Programmangebots mit einer ständig sinkenden Akzeptanz: Radiokultur und Radio 3 hätten zuletzt nur noch einen Marktanteil von jeweils 0,9 Prozent erreicht, Tendenz sinkend. Und ein weiteres Ergebnis aus der Hörerforschung machte die Verantwortlichen nervös: Die Zuhörerschaft altert. In Berlin und dem Raum Brandenburg soll das Durchschnittsalter der Kulturhörer seit 1998 um 16 auf 63 Jahre gestiegen sein. Da das biologisch nicht möglich ist, sind jüngere Hörer offenbar abgesprungen. Aus beiden Tendenzen, der gesunkenen Quote und der Alterung der Hörer, wurde gefolgert, daß dem Kulturradio der natürliche Tod droht, wenn nicht gehandelt wird.

Mit Hilfe der Mediaforschung konnte festgestellt werden, daß sich die Bedürfnisse auch der Hörer der Kulturwellen gewandelt haben. Das Radio soll heute, zumindest tagsüber, generell nur noch „Nebenbeimedium" sein. Die Form des „klassischen" Kulturradios, wo Musik- und Wortsendungen in festen Blöcken aufeinanderfolgten, habe sich überlebt. Für einstündige, gar monothematische Magazinsendungen, fehle den Interessierten heute die Zeit.

Die Lösung aus dem Dilemma fan-den die Macher in „Tagesbegleitprogrammen". Um beim regionalen Beispiel zu bleiben: Das RBB Kulturradio sendet seit der jüngsten Reform werktäglich zwischen 6 und 18 Uhr vier jeweils dreistündige Magazinstrecken, die nüchtern „Kulturradio am Morgen/am Vormittag/am Mittag/am Nachmittag" betitelt wurden. Ein Schema, das bis zum Samstagmittag fortgesetzt wird. In dieser Magazinform herrscht Musik vor, Wortbeiträge, wie die (religiösen) „Worte für den Tag", die Frühkritik, Kulturnachrichten oder Politik vom Tage, sind nur kurz und werden zu festen Zeiten eingestreut. Länger fallen lediglich die CD-Kritik um 13.30 Uhr und die halbstündige Lesung um 14.30 Uhr aus. Werktags ab 18 Uhr und am Wochenende bleibt, abgesehen vom Samstagvormittag, das alte Programmschema wiedererkennbar.

Die Reaktion auf das neue RBB Kulturradio war eine Welle scharfen Protests. Vom Tagesspiegel war zu vernehmen, daß die Senderreform eine kaum zuvor erlebte Flut von Hörerbriefen hervorgerufen hat. Der Abschied vom Zuhörprogramm wurde generell beklagt und in der Kleinstportionierung von Musik und Wortbeiträgen eine Niveaubeseitigung gesehen.

Die Macher hingegen legen bei ih-rem neuen Programmschema Wert auf „Durchhörbarkeit". Um meinen eigenen Höreindruck zusammenzufassen: Hier soll es in Musik und Wort auf jeden Fall leicht konsumierbar zugehen. Werktags ab morgens sechs Uhr wird mit der gespielten Musik der klassische Kanon des 18. und 19. Jahrhunderts bevorzugt, über den selten hinausgegangen wird. Erlaubt sind aber nur einzelne Sätze sinfonischer Werke, Klavierstücke, gelegentlich Kammermusik. Gefragt sind die Komponisten der klassischen „Hits" sowie Gassenhauer nach Art der Walzer-Strauß-Dynastie. Doch je länger ich zuhöre, desto mehr beginnen sich die einzelnen Musikstücke, selbst wenn sie aus unterschiedlichen Epochen stammen, in meiner Wahrnehmung zu ähneln. Sie bleiben nicht haften, und die Aufmerksamkeit für die Musik geht relativ schnell verloren. Selbst dort, wo es doch einmal längere Musikstrecken gibt, sind durch die zeitliche Fixierung der Wortbeiträge Grenzen gesetzt. Ein Werk, das in voller Länge gespielt wird, darf kaum länger als 20 Minuten sein (bei meiner Hörprobe war es Richard Strauss' Don Juan).

Illustration: Björn Speidel

Auch die einzelnen Wortbeiträge sind kurz, der Wortanteil des Programms ist überhaupt viel geringer als der der Musik. Und manchmal erweist sich die Kürze der einzelnen Beiträge als Problem. Die „Reportage", die ich am 11. August hörte, hatte zum Thema die Marzahner Straße, die im Berliner Sozialstrukturatlas als Schlußlicht geführt wird. Bei einem solchen Inhalt würde ich erwarten, daß auf die soziale Problematik auch eingegangen wird. Doch das findet nicht statt, geboten wird lediglich eine kurze Ortserkundung, bei der einige der angetroffenen Menschen im O-Ton zu vernehmen sind.

Auf welchen Hörer das neue „Tagesbegleitprogramm" letztlich zielt, darüber kann nur spekuliert werden. Wer das Radio als Nebenbeimedium nutzt, wird weder für die Musik noch für die Wortbeiträge der neuen Magazinstrecken sehr viel Aufmerksamkeit übrighaben. Und ein potentieller Hörer eines Kultursenders, vermute ich, schaltet sowieso immer gezielt ein. Der würde vom „Kulturradio am Morgen" vielleicht die Frühkritik und die Kulturnachrichten mitnehmen, weiß aber, was er vorher, nachher und gleichzeitig auf anderen Wellen geboten bekommt. Da das erklärte Ziel der Macher des Kulturradios nun aber das Gewinnen neuer Hörer ist: Wie könnte ein Newcomer das Programm einschätzen? Mir will kaum einleuchten, daß klassische Musik, tagsüber in kleinen Häppchen verabreicht, Hörerbindung schafft. Auch der Neuhörer, der sich von dem Programm angesprochen fühlt, möchte doch bestimmt mal ein komplettes Brandenburgisches Konzert hören und ebenso vollständige Sinfonien, Sonaten usw. Sehr ausgiebig ist das Angebot nicht, das der Sender hier machen kann: Hauptsächlich abendliche Konzertaufzeichnungen am Wochenende oder das Sonntagskonzert.

Die Aufregung um den Start des reformierten Kultursenders hat sich mittlerweile gelegt. Nun werden dessen Macher nervös auf die Hörerumfragen schielen. Die zuletzt gemessenen 0,9 Prozent Marktanteil sollen schließlich deutlich übertroffen werden: Eine Quote von zwei Prozent wünschte sich Wellenchef Wilhelm Matejka beim Start des Kulturradios am 1. Dezember. Ein ehrgeiziges Ziel. Konkrete Zahlen für den neuen Sender werden erst mit der Mediaanalyse im März 2005 ausgewiesen. Bis dahin kann zur Beruhigung der hiesigen Verantwortlichen vielleicht beitragen, daß in den im Juli veröffentlichten aktuellen Messungen die (ebenfalls reformierten) Kulturwellen der anderen Bundesländer fast alle in der Hörergunst zugelegt haben. Was aber nun, wenn die Rechnung nicht aufgeht und der Marktanteil des neuen Kulturradios stagniert oder gar weiter sinkt? Schon im letzten Jahr hatte ein heftig diskutiertes Positionspapier der Ministerpräsidenten von Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen u.a. gefordert, die Zahl der ARD-Radioprogramme zu reduzieren und für die klassische Musik ein einheitliches bundesweites Programm einzuführen. Betrachtet man die Einförmigkeit der „Tagesbegleitprogramme" der reformierten Kulturwellen und den nicht nachlassenden Zwang zu sparen (siehe die endlose Diskussion um die Erhöhung der Rundfunkgebühren), dann wird der Widerstand gegen eine solche Forderung schwächer werden. Und dann werden die öffentlich-rechtlichen Klassikwellen vielleicht tatsächlich zur Disposition stehen.

Sebastian Podlejski

 
 
 
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