Ausgabe 07 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Party geht weiter

Bilanz des größten nichtstattgefundenen Techno-Umzugs

Es hat auch ohne sehr großen Spaß gemacht – doch ihre Spuren hat die Nicht-Love-Parade dieses Jahr trotzdem hinterlassen. Es traten wieder diejenigen in die Aufmerksamkeitslücke, die sowieso schon die ganzen Jahre das eigentliche Rückgrat der Szene für elektronische Musik bildeten – die Berliner Clubs. Sie sind die eigentlichen Gewinner des Tohuwabohus um die Absage der Parade. Keine Rede mehr vom Clubsterben – stattdessen ein wiederbelebtes Selbstbewußtsein. Zehn Tage lang hatten sie Mitte Juli auf 100 Parties gezeigt, was alles drin ist. „Die Atmosphäre in den Clubs, das Feeling, das war ein echtes Back-to-the-Roots", freut sich Olaf Kretschmer, Geschäftsführer der Club Commission. Seit dem Sommer 2000 haben sich über 70 Betreiber in diesem Bündnis zusammengefunden, das die Interessen der Party-Unternehmer vertritt. Gemeinsam haben sie der Stadt die Totalblamage erspart, die sie ohne Zweifel eingefahren hätte, wenn dieses Jahr nichts mit überregionaler Ausstrahlung gelaufen wäre.

„Nach der endgültigen Absage der Parade ging's erst richtig los. Uns war klar, daß in der Kürze der Zeit nur ein einfaches Konzept in Frage kommt. Wir hatten keine Sponsoren, kein extra Budget, keine Infrastruktur, keine aufwendige Werbung und kein Personal", sagt Kretschmer, der seit sieben Jahren auch das Oxymoron am Hackeschen Markt betreibt und Anfang der Neunziger das Delicious Doughnuts mitgründete. Ganz pragmatisch seien die Club-Macher zu Werke gegangen und hätten sich bemüht, traditionelle Rivalitäten und Streitigkeiten beiseite zu lassen. „Insofern war das eine initiale Erfahrung, wie man die Zersplitterung der Szene in verschiedene Klüngel überwinden kann."

„Kids ab 14 bekommen heute den ganzen Industriesound von MTV und Viva von oben vorgesetzt. Dabei entsteht Musik der sozialen Welt rings um uns herum. Daß das so bleibt, dafür lohnt sich zu kämpfen", blickt Kretschmer hinter Mischpult und Soundsystem. „Die Grundfigur jeder Musik kommt direkt aus der Realität, was die Leute auch spüren. Als Ausdruck eines Lebensgefühls."

Tatsächlich bündelt sich in der Berliner Clubkultur vieles, was Kultur- und Wirtschaftspolitikern mit noch so großen Worten und Konzepten bis heute nicht wirklich gelungen ist. Fast wirkt es wie Hohn, daß der Senat mit geldwerten Lockstoffen etwa den Musikgiganten Universal oder MTV nach Berlin holte und den Kölnern die Popkomm abwarb. Die immer gerne gezogene Trumpfkarte der Politik: das schrille Berlin, die coole Szenehauptstadt, die Magneteffekte auf kreatives Personal aus aller Welt, die Stadt der Experimente. Im Klartext: Selbständige, im Grunde mittelständische Unternehmer mit hoher Innovationsfähigkeit schaffen eine attraktive Kulisse für Investoren der musikalischen Großindustrie. Zu Recht fordern die Clubbetreiber daher seit längerem eine andere Senatspolitik für den Independent-Kulturbetrieb: Abbau bürokratischer Hemmnisse, weniger Polizei-Razzien und andere Schikanen durch Behörden und echte Akzeptanz als wichtige, subventionsfreie Wirtschaftsbetriebe.

Zwar hat der Senat richtig gehandelt, als er den Love-Parade-Machern die Subventionen versagte. Doch zu spät hat vor allem Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) erkannt, daß hier etwas aus der Bahn läuft. Die sponsorengestützte „Fight-the-Power"-Demo zum Erhalt der Love Parade und für mehr Toleranz gegenüber der Clubkultur mußte Innensenator Ehrhart Körting hart am Rande des Demo-Rechts durchgehen lassen. Mit noch ganz anderen Bandagen hatten diejenigen zu kämpfen, die den „Music Day" als Protesttag gegen die Politik der Majors der Musikindustrie organisieren wollten. Der Grund des Protests: Im Januar 2004 hatten die fünf Großen der globalen Branche ­ Sony, Universal, BMG, EMI und Warner ­ einen Teil der in Deutschland fälligen GEMA-Gebühren auf einem Sperrkonto eingefroren. Sie wollen den Vergütungssatz für CDs von derzeit neun auf 5,6 Prozent drücken. Den Musikern und gerade kleinen Labels entgehen so bis zu 50 Prozent ihrer Einnahmen. Dies soll in einem Verfahren vor dem Münchner Patent- und Markenamt durchgesetzt werden, das Jahre dauern kann. Bis dahin müssen kleine Independent-Produzenten zusehen, wo sie bleiben. Oder sie verschwinden von einem im Sinne der Großen „bereinigten" Markt. Übrig bliebe Massenware.

Der Protest dagegen scheiterte fast an Vorgaben der Innenbehörden, die immer neue Auflagen für den Music Day fand, den neben kulturattac auch ver.di und die IG Metall unterstützten. Dabei hatten sich die Organisatoren zunächst rein formalrechtlich sehr eng am Konzept des Christopher Street Day (CSD) orientiert, der ja trotz heute verblüffender Ähnlichkeit zur Love Parade immer noch seinen Status als politische Demonstration innehat. So blieb denn nach ständig wechselnden Zu- und Absagen des Music Day am Ende ein abgespecktes Drei-Bühnen-Konzept an der Siegessäule übrig. Die Polizei kurvte mit ihren Bussen immer wieder mal durch die friedlich tanzenden Menschen.

Das ganze Hin und Her um die Absage der Love Parade und eventuelle Ersatz-Umzüge und deren Status legen einen Schluß nahe ­ und der betrifft letztlich alle Straßenparties mit Umzugscharakter in Berlin, vom Karneval der Kulturen über den CSD bis zur Fuck- und Love Parade: Die Stadt braucht einen eigenen Passus im Demonstrationsrecht, der speziell auf „Kulturdemonstrationen" zugeschnitten ist. Denn die Freiheit zu demonstrieren beinhaltet auch das Recht, ein Lebensgefühl zu demonstrieren, ohne Transparente, lange Reden und Flugblätter. Wenn ein Schweigemarsch eine politische Demo sein kann ­ warum dann nicht auch eine Musik-Demo? Und gerade Techno steht auch für eine Kultur der Toleranz und des gegenseitigen Respekts.

Damit kein Kommerzverdacht auf künftigen Protest-Organisatoren lastet, kann man die fälligen Neuregelungen für die finanziellen Fragen und Folgen („Wer macht den Müll weg?") von Großdemos mit soziokulturellem Inhalt mit in diesen Katalog aufnehmen. Die aktuellen Vorschriften, wie man mit welchen Mitteln für oder gegen etwas auf die Straße geht, hat schon was von angestaubtem Obrigkeitsdenken. Inzwischen geht die Party weiter.

Tobias von Heymann

 
 
 
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