Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Monströse Pokale, unrühmliche Rekorde, lustige Spiele

Eine Ausstellung zur Neuköllner Sportgeschichte

Man passiert gedankenlos den Durchgang zum Hinterhof, registriert im Vorübergehen die großformatigen Fotografien; und stellt später fest, daß man hier – im Durchgang zum Hinterhof – schon an einem großen Teil der Ausstellung Neukölln bewegt sich vorbeigelaufen ist. Das Heimatmuseum Neukölln ist klein, und wie man schnell feststellt, zu klein für eine Ausstellung über die Neuköllner Sportgeschichte: ein paar Objekte, ein paar Fotos und Dokumente, schließlich drei Kurzfilme, die sich im zweiten Raum gegenseitig übertönen.

Die Ausstellungsmacher thematisieren ganz verschiedene Aspekte des Sports in Neukölln: das Treiben des deutschen Vorturners Friedrich Ludwig Jahn in der Hasenheide, die für den Arbeiterbezirk so wichtigen Arbeitersportvereine, Neukölln und die Olympiade 1936, Versehrtensport, Fußball, sowie mittels der einzelnen Ausstellungsstücke auch weniger verbreitete Spiele wie Ringtennis oder Schleuderball. Doch die Begleittexte können höchstens Schlaglichter setzen, keine tieferen Einblicke gewähren. Es gibt seltsame Exponate (für die man die Heimatmuseen so liebt) wie die ausgetretenen Schlappen des Hochsprungweltmeisters Martin Buß oder einen monströsen Pokal des Arbeitersportlers Werner Seelenbinder zu bewundern. Trotzdem hinterläßt der Museumsrundgang beim Besucher das Gefühl, er habe einen Appetithappen für ein Menü vorgesetzt bekommen.

Was die Schau im Heimatmuseum selbst nicht zu leisten vermag, gelingt dem Ausstellungskatalog dann allerdings in durchaus angemessener Form. Auf 200 Seiten wird der Leser umfassend über die Vielfalt der sportlichen Umtriebe in Neukölln informiert. Zwar lesen sich manche Beiträge wie dröge Rechenschaftsberichte eines Vereinsschriftführers; die meisten Texte zeichnen jedoch interessante Bilder auch von Geschehnissen, die gemeinhin eher als Marginalien betrachtet werden.

So erfährt man eben nicht nur, daß der Wehrertüchtiger Jahn in der Hasenheide den ersten deutschen Sportplatz errichtete oder daß der ziemlich mittelmäßige Fußballnationalspieler Ramelow aus Neukölln stammt und ähnliche Heldengeschichten von „waschechten" Neuköllner Jungs. Man liest auch höchst Wissenswertes über den Schulsport von einst, etwa, daß in den zwanziger Jahren lustige Spiele wie Mordball oder Kriegsball auf dem Lehrplan standen. Ein leider viel zu kurz geratenes Kapitel beschäftigt sich mit Kneipensport, und am Beispiel des BSV Hürtürkel wird der Komplex „Fußball und Migration" verhandelt. Verdienstvoll auch, daß dem gern vernachlässigten Arbeitersport so viel Platz eingeräumt wurde.

Nicht fehlen durfte die Geschichte von Aufstieg und Fall von Tasmania 1900, des erfolgreichsten und bekanntesten Neuköllner Fußballvereins, dessen Berühmtheit außerhalb Berlins gleichwohl daher rührt, daß man einen eher unrühmlichen Rekord aufstellte: In seiner einzigen Bundesligasaison 1965/66 verlor der Club 28mal, lediglich zweimal konnte Tasmania gewinnen und ist damit die bis heute schlechteste Bundesligamannschaft aller Zeiten; kurz darauf folgte der finanzielle Bankrott. Dem Team von damals gegenübergestellt: die A-Jugendmannschaft des als Tasmania Gropiusstadt 1973 wiedergegründeten Vereins, zur Zeit in der höchsten Liga der Altersklasse zugange.

Natürlich gibt es im Heimatmuseum auch ein wahrhaft grandioses Ausstellungsstück: ein wunderlich amorphes Etwas aus Zinn, das aussieht wie die mißratene Bastelarbeit eines genialen Dilettanten. Nachdem in den siebziger Jahren ein Brand das gemeinsame Vereinsheim von drei Neuköllner Schwimmvereinen zerstört hatte, soll dieses Wunderding aus den Trümmern geborgen worden sein. Die Reste von drei Pokalen (von jedem der Vereine einer) waren im Feuer miteinander verschmolzen. Ein Omen, denn die drei Schwimmgemeinschaften fusionierten bald darauf. So entstehen Mythen: Auf der Rückseite des Pokals kann man feine Schweißnähte erkennen.

Gertrude Schildbach

> Die Ausstellung „Neukölln bewegt sich. Von Turnvater Jahn bis Tasmania" ist noch bis zum 2. April 2005 im Heimatmuseum Neukölln, Ganghoferstraße 3-5, zu sehen. Eintritt frei.

Der Katalog „Neukölln bewegt sich" (Hg. Udo Gößwald) ist ebendort erhältlich und kostet 12,80 Euro.

Foto: Aus dem Katalog

 
 
 
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