Ausgabe 05 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Warum sich Bakunin mit Marx duellieren wollte

Von Spitzeln und V-Männern

Ein Sammelband aus ausdrücklich linker Perspektive zum Thema Spitzel läßt einiges befürchten: Verschwörungstheorien, helle Empörung darüber, daß sich auch der Feind nicht an Recht und Gesetz hält, oder gar haltlose Denunziationen. Doch die Herausgeber Markus Mohr und Klaus Viehmann machen bereits in der Einleitung zu ihrem Buch SPITZEL – Eine kleine Sozialgeschichte deutlich, daß ihnen derartiges nicht am Herzen liegt. Sie versuchen vielmehr, das Phänomen historisch und soziologisch in den Blick zu nehmen, ohne deshalb die Hoffnung aufzugeben, die verschiedenen Aufsätze könnten für die gegenwärtig radikalpolitisch und dabei zum Teil eben auch illegal arbeitenden Gruppen lehrreich sein. Anleitungen, wie mit Spitzeln umzugehen sei, liefern sie dabei nicht, sind doch auch die Fallbeispiele viel zu unterschiedlich, als daß sich daraus derartige Rezepte ableiten ließen.

Das Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, dazu ist der geschichtliche Rahmen viel zu weit gefaßt. Neben einer Genealogie des Polizeispitzels im vorrevolutionären Paris oder einem Essay über den „Urspitzel" Judas findet sich auch ein vergnüglicher Bericht über den Spitzelvorwurf an Michail Bakunin in der von Marx und Engels geleiteten Neuen Rheinischen Zeitung. Der Anarchist reagierte auf diese Diffamierung ganz in aristokratischer Tradition mit einer Aufforderung zum Duell, bevor die Auseinandersetzung sich dann doch per Gegendarstellung aus der Welt räumen ließ. Ein deutlicher Schwerpunkt des Buches liegt auf Spitzelgeschichten innerhalb der kommunistischen Bewegung des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Die Detailversessenheit dieser geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitungen geht dabei leider oft auf Kosten des eigentlichen Themas.

Die Artikel, die sich auf Geschehnisse jüngeren Datums beziehen, konzentrieren sich fast vollständig auf die alte oder neue BRD. Auf den Linken Buchtagen im Mehringhof erklärte das Mohr damit, daß die Aufarbeitung der Stasi-Spitzeleien nach der Wende wesentlich von Konservativen übernommen worden sei, denen man nicht leichtfertig vertrauen mag. Kein sehr überzeugendes Argument. Die Konzentration auf die BRD liegt wohl schlicht in der Heimat der Autoren begründet. Daß sie die Stasi weitgehend außer acht lassen, weil sie unausgesprochen mit dem DDR-Sozialismus sympathisieren, läßt sich ihnen aber nicht nachsagen.

Die vielen Fallbeispiele von Bespitzelungen Autonomer, Atomkraftgegner oder revolutionärer Zellen werden erfreulicherweise ergänzt durch Abhandlungen über die Rolle von V-Männern in der rechten Szene, so daß gar nicht erst der Verdacht aufkommt, die Autoren glaubten, der Verfassungsschutz hätte es nur auf sie abgesehen.

Das Buch bildet einen Anfang, ein nicht nur für politisch Aktive relevantes Thema für eine breite Diskussion und Berarbeitung urbar zu machen. So fügen die Autoren jedem Beitrag ausführliche Quellen- und Literaturhinweise bei, die bei weitergehendem Interesse von Nutzen sein dürften. Daß sich darunter nur selten Werke finden, die sich dezidiert mit dem Phänomen des Spitzels beschäftigen, läßt ahnen, daß hier ein sozialgeschichtliches, anekdotenreiches und politisch brisantes Feld brach liegt. Vielleicht werden es sogar Mohr und Viehmann selbst weiter beackern: So bedauerte Mohr bereits, keinen Beitrag zur Spitzelparanoia in dem Band aufgenommen zu haben.

Katrin Scharnweber

> Markus Mohr und Klaus Viehmann: (Hg.): Spitzel – Eine kleine Sozialgeschichte. Verlag Assoziation A, Berlin 2004. 18 Euro

 
 
 
Ausgabe 05 - 2004 © scheinschlag 2004