Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Neustart

Der nächste Schritt eines großen Projekts?

Kaum hat man sich im bootlab in der Ziegelstraße 21 in Berlin-Mitte mit dem täglichen Chaos des Radiomachens abgefunden, geht es bereits dem Ende zu. Der gemeinnützige Trägerverein bootlab e.V., ein Softwarelaboratorium und Produktionsort für lokale und internationale Medienkultur, stellte drei Monate lang Aufnahme- und Tonstudios als Produktionsstätten zur Verfügung. Von hier aus startete der Radiosender „reboot.fm" sein Programm am 1. Februar diesen Jahres und sendet auf der Frequenz 104.1 UKW zwischen 12 und 6 Uhr täglich 18 Stunden „Freies Radio", das auch über Internet zu empfangen ist. Am 30. April ist die Sendezeit jedoch abgelaufen.

Nach „Juniradio" und „Radioriff" sollte reboot.fm der nächste Schritt eines größeren Projekts sein: der dauerhaften Etablierung eines freien Radiosenders in Berlin, den es hier, im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern, nicht gibt und in nächster Zukunft wohl auch nicht geben wird. Nach Ansicht der Landesanstalt für Rundfunk und Medien ist der „Offene Kanal" im Fernsehen eine ausreichende Alternative zu öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Programmen. Wenn reboot nicht mehr sendet, wird 104.1 wieder die Testfrequenz der Telekom sein, die hier mit „Kaufradio" und „Joy Fm" das Digital Audio Broadcasting testet, den digitalen terrestrischen Empfang von Radiosendungen.

Unter der Bedingung, daß reboot.fm mit Veranstaltungspartnern wie der Transmediale, dem Club Transmediale und der Biennale für zeitgenössische Kunst kooperierte und Live-Übertragungen von den einzelnen Veranstaltungen sendete, wurde das Projekt von der Bundeskulturstiftung gefördert.

Die Gründungsmitglieder aus dem bootlab begreifen den Sender nicht als „Offenen Kanal": Nicht anders als bei den öffentlich-rechtlichen und kommerziellen privaten Sendern ist das Programm in ca. 20 Themenbereiche gegliedert, deren einzelne Sendungen mehr oder weniger gleichmäßig auf den Sendeplan verteilt sind. „Presseschau", „Features und Interviews", „Nachrichten", „Magazin (local)", „Magazin (music)" oder „Internationales Magazin" heißen einige der Ressorts. Hier sendet beispielsweise die Initiative Kanak Attak, Robert Luxemburg kommentiert politische Ereignisse, es gibt afrikanische, elektronische oder afro-amerikanische Musik sowie „Live DJ Sets" zu hören. In der Rubrik „textz.com" werden Texte u.a. von Walter Benjamin vorgelesen, die Zeitung de:bug hat einen festen Sendeplatz, um nur einige wenige Programme zu nennen.

Die einzelnen Sendegestalter wurden von der Redaktion des bootlab eingeladen oder haben den Sendeplatz aufgrund von Beziehungen zu Freunden des bootlab bekommen. Beiträge, die später hinzukamen oder sich nicht in die bestehende Sendestruktur eingliedern ließen, werden im Bereich „Open Radio" gesendet, wie beispielsweise die Sendung „Alphabete Street", wo etwa Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt besprochen werden. Aufgrund der beschränkten Sendezeit ist der Zugang allerdings sehr begrenzt. So bietet reboot.fm zwar ein breites Spektrum an Sendebeiträgen, beschränkt sich dabei jedoch weitgehend auf Beiträge, deren Autoren aus dem erweiterten Kreis des bootlab-Umfeldes stammen. Beiträge von Leuten aus Friedrichshain, Wilmersdorf oder Pankow lassen sich kaum im Programm finden.

Mittlerweile, gegen Ende der Radiosendezeit, gibt es nur noch wenig Sendeausfälle bei reboot.fm. Die Organisationsstruktur ist in der Praxis jedoch noch weit vom Ideal entfernt. Zu wenige redaktionelle Mitarbeiter betreuen zu viele Sendungen, die Arbeitsaufteilung zwischen Redaktion und Technik ist eher verschwommen, das Resultat ist oftmals Chaos. Um im Sendebetrieb anfallende Arbeiten mit dem Einsatz von möglichst wenigen schlecht oder gar nicht bezahlten „festen Mitarbeitern" zu erledigen und Hierarchien und Zentralisierung zu vermeiden, sollten „alle möglichst alles" machen. Arbeitsteilung will man hier nicht. Konkret hieße das, die Sendegestalter müßten sich auch in technischen Fragen auskennen, bestenfalls ihr eigenes Studio besitzen. Die Software für dieses Modell hat reboot.fm selbst entwickelt und bereitgestellt. Sie erlaubt, Beiträge selbstständig per Internetstream zu senden. Allerdings würde dies die Anzahl und Breite der Sendungen mangels Heim-Studioausrüstung wohl beträchtlich schmälern, zumal es nicht ganz so einfach ist, die Software handzuhaben. Mitunter wissen beispielsweise auch Mitarbeiter aus dem bootlab selbst nicht, wie man die geschaffenen Möglichkeiten effizient nutzen kann.

Was nach dem 30. April mit reboot.fm passieren wird, ist unklar. Im bootlab denkt man über ein Internetradio nach, das allerdings nur bei moderaten Kosten realisierbar wäre. Immerhin aber interessieren sich bereits andere Freie Radios in Genf, Sofia und Marburg für die Software von reboot.fm. Diese basiert auf einem freien Betriebssystem und soll zur weltweiten Weiterverwertung bereitgestellt werden.

Sonja Fahrenhorst

> Radiokampagne – Soliparty am 15, Mai, 21 Uhr im ausland, Lychener Str. 60, mit Live-Musik und DJs

Foto: Jörg Gruneberg

 
 
 
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