Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der ungetreue Striederich

Berlins visionärer Zukunftssenator stolpert über eine altmodische Sache

Er hatte einen großen Plan. Peter Strieder zählte sich entschieden zu den „Machern" der Geschichte. Mit ihm als Steuermann sollte das „junge neue Berlin" kraftvoll aus den seichten Gewässern des Wohlfahrtsstaates auf die Weltmeere hinausfahren. Als wortgewaltiger Haudrauf und sozialdemokratischer Reformtiger gesprungen, ist Strieder, der zwischenzeitlich sogar als möglicher Landesvater gesehen worden war, nun als gemeiner Investorenbettvorleger gelandet. Die Presse gibt sich von diesem Ausgang allgemein „überrascht", galt der Verunfallte doch als „strategischer Kopf" und juristisches Cleverle, dem nicht so einfach beizukommen sei.

In den Kiezen, in der Verwaltung und an der Basis seiner Partei dagegen hatte sich der Troublemacher längst an das finstere Ende der Beliebtheitsskala vorgearbeitet. An allen Schändlichkeiten der großen Spekulantenkoalition beteiligt, hatte er bei Amtsantritt zugleich den großen Saubermann gegeben. Aufräumaktionen auf öffentlichen Plätzen und nächtliche Haussuchungen in der Graffitiszene wurden bald durch eine totalitäre Planungsaktion gegen die sozialstaatliche Moderne signifikant überwölbt. „Berlins Mitte kann nicht den Marginalisierten, jener Mischung aus Transferempfängern und ewig Gestrigen, überlassen werden, die heute noch stolz sind über ihren Anteil am Aufbau des Sozialismus", sprach der Senator und kündigte einen höchst eigenwilligen Angriff auf die bestehenden gesellschaftspolitischen Strukturen ­ und geltenden Normen ­ des Landes an, die er mit einem gigantischen Innenstadtplan zur Bereinigung der jüngeren Geschichte untersetzen ließ. Gegen langjährige Konzepte der Bezirke, gegen die Identität der in der Nachkriegszeit entstandenen Neubau-Kieze ­ die „Ghettos von Marginalisierten West und sozialistischen Parteigängern Ost" ­ rollten eine Handvoll stadtästhetischer Fundamentalisten einen Parzellenteppich über die kommunalen Liegenschaften der Innenstadt. Die Botschaft war: „Ende der Stadt als staatliche Veranstaltung", Ausverkauf zu politisch gewollten Schnäppchenpreisen an „bevorzugt kleinere und mittlere Investoren".

Was sich während der überfallartigen Kampagne um dieses „Planwerk Innenstadt" entfaltete, war nichts Geringeres als der Versuch, der demokratischen Öffentlichkeit Berlins staatlicherseits ein neues gesellschaftliches Normensystem zur Lösung der Zukunftsprobleme der Stadt aufzuzwingen. Während eine liberale politische Herrschaft darum weiß, daß es in den Normen nicht verallgemeinerbare Elemente gibt und sie deshalb ihre Ordnungsmacht auf das Nötige begrenzt, statt eigene Interessen mit kollektiven gleich zu setzen, ignorierte Strieders Großstrategie jegliche Differenz. In den Auseinandersetzungen um jenes gesellschaftsstrategische Planwerk verlangte er in einer Weise Zustimmung zu den pseudowissenschaftlich für wahr erklärten Richtlinien, die man durchaus als Gesinnungsterror bezeichnen kann. Wer sich dem Diktat nicht unterwarf, wurde von Strieders Apparat persönlich beleidigt, beruflich beschädigt und nachhaltig ausgegrenzt. Es genügt deshalb nicht, daß nur der Mann von der Bildfläche verschwindet, der dafür Verantwortung trug. Es bedarf grundsätzlicher Revision.

Daß ein Mensch, der die weitreichende Umverteilung von öffentlichen Gütern und kommunalen Ressourcen in private Hand jahrelang als politisches Programm betrieben und der Öffentlichkeit erfolgreich als notwendige Reform verkauft hat, am Ende wegen des Verdachts auf Untreue demissionieren muß, ist mehr als ein Betriebsunfall. Wie tollkühn ideologisch oder wirtschaftlich desaströs darf sich die Verwaltung eines Landes benehmen? Kann man es hinnehmen, daß in den nächsten Jahrzehnten von Kulturforum bis Spittelmarkt die Stadt nach einem irren Plan verwüstet wird, der sich schon auf der Fischerinsel als Desaster erwiesen hat? Wie ist das über den Städtebau hinaus: Sind die Normen einmal so gesetzt, daß es als alternativlos und gesellschaftstheoretisch einzig wahrhaftig erscheint, öffentliche Vermögenswerte in private Hände zu verlagern, entzieht es sich schon bald juristischer Relevanz, die Vergabemodalitäten in den Verwaltungen zu bewerten? Wer kontrolliert die führenden Beamten des Landes Berlin hinsichtlich ihres normativen Handelns? Wie ist das mit dem altertümlichen Treueeid für das Gemeinwohl, wenn allenthalben nur noch privatisiert wird?

Das Bizarre an Aufstieg und Fall von Peter Strieder ist die Diskrepanz der Summen, die von Berliner Politikern auf ausdrücklicher Beschlußgrundlage hin veruntreut oder verspekuliert werden und den Kleinigkeiten, an denen der inoffizielle Filz eher zufällig auffliegt. Strieders Ressort zeigt exemplarisch, wie sehr die Wertmaßstäbe im Land Berlin seit Jahren deformiert worden sind. Der handlungsschwache Krisensenat wird sich nicht von allein mit diesen Fragen beschäftigen: Die zwischen Bankenskandal und Planungsirrsinn fällige Inventur müssen die Bürger der Stadt selbst in die Wege leiten. Strieders Rücktritt und die juristische Aufarbeitung seiner Geschäftsführung sind ein Anlaß mehr für eine breite außerparlamentarische Initiative. Als soziales und politisches Gemeinwesen braucht Berlin dringend eine neue Art von „Stadtforum". Es könnte aus der „Initiative Bankenskandal" von Peter Grottian herauswachsen und auf stadtentwicklungspolitische Basisstrukturen wie das „Stadtforum von unten" oder Mietervertretungen zurückgreifen. Denn es geht neben finanz- und haushaltspolitischen Problemen nicht zuletzt auch darum, Polyzentralität, städtebaulich-planerische Kasuistik und – dringend – Partizipation statt formal-ritueller Betroffenenbeteiligung als Prinzipien wieder in Wert zu setzen. Wir brauchen Versuchsräume und stadtkulturelle Agenturen in den luxuriös leerstehenden Baulichkeiten aus der DDR-Zeit, seien es der Palast der Republik oder leerstehende Kindereinrichtungen in den Bezirken. Es ist an der Zeit für einen Paradigmenwechseln von Hochverwertung zu Reaktivierung und Instandbesetzung durch Investoren mit Ideenkapital. „Rot- Rot" sollte sich mit einer Kultur des Verschenkens deutlich absetzen vom Ausverkauf zu Dumpingpreisen. Investieren kann man nämlich auch mit Köpfchen und Lebensenergie derer, die nicht mehr auf den Markt wollen, weil sie in ihrem einen Leben viel mehr vorhaben, als sich zu verkaufen. Nicht durch Eigentum entsteht die Bürgerstadt, sondern durch Tätigsein und – Treue.

Simone Hain

 
 
 
Ausgabe 04 - 2004 © scheinschlag 2004