Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der konservative Revolutionär

Peter Kubelka zum 70. Geburtstag

Daß Film auch eine Kunstform sein kann, droht mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten in einer Zeit, in der Filmförderung nur noch als Wirtschaftsförderung begriffen wird. Für die radikalste denkbare Gegenposition zu dem, was er als „Industriefilm" bezeichnet und was heute mit „Film" oder „Kino" gleichgesetzt zu werden pflegt, steht der vor 70 Jahren in Wien geborene Peter Kubelka mit seinem Oeuvre – einem Oeuvre, das zwischen 1955 und 1977 entstand und es auf eine Gesamtlänge von nicht einmal 50 Minuten bringt; letztes Jahr kam mit Dichtung und Wahrheit noch ein Nachzügler hinzu.

Kubelka, der 1952 aus Österreich an die Filmhochschule nach Rom flüchtete und in den sechziger Jahren Anschluß an die New Yorker Film-Avantgarde fand, dort auch 1970 die Anthology Film Archives mitbegründete, steht für den Autorenfilm in seiner konsequentesten Form. Für ihn muß es eine Personalunion von Kameramann, Autor, Cutter, Tongestalter usw. geben, damit ein überzeugend durchgestaltetes Produkt entstehen kann, dieses nicht schon im Ansatz in den Verstrickungen der Arbeitsteilung unter Fachidioten scheitert. Kubelka verweist in diesem Zusammenhang gerne darauf, daß noch nie ein überzeugendes Gedicht als Gemeinschaftsarbeit geschrieben wurde. Den Film sieht er noch immer in einer kommerziellen Fesselung, der andere Künste inzwischen entkommen sind: „Das Kino wiederholte und wiederholt noch immer diesen Zustand der Sklaverei, den die Malerei längst überwunden hat."

Unter widrigen Umständen sind Kubelkas frühe Filme großteils entstanden: So nutzte er den Auftrag, einen Werbefilm für die Schwechater Brauerei zu drehen, um die Aufnahmen biertrinkender Menschen in einer Bar in eine experimentelle Verdichtung zu bringen, die die Brauerei dann ablehnen mußte. Genausowenig zufriedengestellt wurden die Auftraggeber, die Kubelka 1961 auf eine „Afrikareise" mitnahmen, damit dieser deren Jagdabenteuer dokumentieren möge. Mit Arnulf Rainer (1960), einem Film, der nur aus schwarzen und weißen Bildern, Stille und Rauschen besteht, hatte er das Medium zuvor auf einem Nullpunkt konzentriert.

„Wer nichts ändern will am Status quo, soll kein Künstler werden", ist Peter Kubelka überzeugt. Damit ist aber kein politisches Engagement im geläufigen Sinne bezeichnet. Kubelkas Unzufriedenheit speist sich vielmehr aus Antrieben, die man als kulturpessimistisch bezeichnen könnte. Zum Künstler sei er geworden, weil ihm das Essen nicht mehr geschmeckt habe. Überhaupt spielt das Kochen, die älteste und elementarste Kunstform, für ihn eine entscheidende Rolle; bis 1999 leitete er an der Städelschule in Frankfurt eine „Klasse für Film und Kochen als Kunstgattung". Im Wien der fünfziger Jahre will er Wirte gekannt haben, deren Kochkunst er auf eine Stufe mit Künstlern wie Picasso stellt. Doch das ist Vergangenheit, und Kubelka kämpft auch in der Gastronomie gegen die Industrie und ihre schädlichen Produkte.

Während sein Film Denkmal für die alte Welt noch immer als „work in progress" geführt wird, hat Kubelka sich mehr und mehr anderen Gebieten, auch der Musik zugewandt. In der Öffentlichkeit ist er aber in den letzten Jahren hauptsächlich mit seinen Vorträgen in Erscheinung getreten, mit weit ausgreifenden tours d'horizon, in denen Filmtheorie und Kochen, Erkenntnistheorie und Kulturkritik kurzgeschlossen werden. Einer dieser Vorträge wurde nun endlich auf einer DVD festgehalten ­ im Österreichischen Filmmuseum in Wien, wo Kubelka sein Ideal eines „unsichtbaren" Kinos realisieren konnte: Der Zuschauer sitzt in dem schwarzen Saal gleichsam im Kopf des Filmemachers.

Florian Neuner

> Peter Kubelka: Film als Ereignis, Film als Sprache, Denken als Film. Ein Vortrag mit Beispielen. Eine DVD-Produktion von ZONE, http://zone.co.at

 
 
 
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