Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ich-AG ­ das Kleingedruckte

Wie Bauernschlaue ihr Glück machen können

Seit 2003 kann Unternehmer werden, wer eine Ich-AG gründet. Der neudeutsche Ausdruck wurde zum „Unwort des Jahres" gekürt. Auch das Modell selbst war stets umstritten. Die Ich-AG ist verbunden mit einem Existenzgründungszuschuß für Arbeitslose, die sich selbständig machen wollen. Als Alternative zum sechsmonatigen Überbrückungsgeld vom Arbeitsamt ist der Existenzgründungszuschuß keine neue Rechtsform, sondern ein steuerfreier Sozialversicherungszuschuß. Zunächst eine gute Idee. Tatsächlich wird das Geld von den Arbeitsämtern meist unbürokratisch bewilligt, nicht zuletzt zur Entlastung der Statistik – gelten doch die knapp 100000 Gründer einer Ich-AG nicht mehr als Arbeitslose. Auf den Existenzgründungszuschuß besteht Rechtsanspruch. Das heißt, er kann jederzeit beantragt werden und wird für je ein Jahr gewährt. Er beträgt im ersten Förderjahr 600 Euro, im zweiten 360 Euro und im dritten 240 Euro monatlich. Nicht mehr bewilligt wird das Geld, wenn Einkünfte über 25000 Euro jährlich eingespielt werden. Gemeint ist dabei der steuerliche Gewinn (Einnahmen minus Ausgaben). Bei Scheitern der Existenzgründung müssen die Mittel nicht zurückgezahlt werden.

Auf die guten Nachrichten folgen jedoch die schlechten. Die Gründer einer Ich-AG werden gesetzlich rentenversicherungspflichtig. Sie haben den „halben Regelsatz" zu bezahlen, in den neuen Bundesländern monatlich ein Beitrag von 197,93 Euro. Bei vielen Ich-AG-Gründern kam der Schrecken mit dem Schreiben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), da die Arbeitsämter diese „Kleinigkeit" anfänglich meist verschwiegen hatten. Mittlerweile weisen die Sachbearbeiter darauf hin. Jährlich betragen die Ausgaben für die Rentenversicherung 2375,16 Euro. So wird die Zwangsversicherung zur Existenzgefährdung, und von 14400 Euro Höchstförderung in drei Jahren bleiben ganze 7314,52, wenn die BfA hingelangt hat.

Ein anderer ungünstiger Effekt für manche Ich-AG-Gründer ist, daß die bisherige Versicherungsfreiheit von bestimmten Berufsgruppen in dem neuen Modell umgangen wird. Wer sich beispielsweise als Autor, Berater oder im Einzelhandel selbständig macht, wäre ohne Ich-AG nicht versicherungspflichtig gewesen.

Als eine weitere Belastung kommt auf die Existenzgründer zu, daß sie ihre Beiträge zur Sozialversicherung selbst bezahlen müssen. Daß Unternehmer Mitarbeiter entlassen und als scheinselbständige Ich-AGs engagieren, läßt sich ebensowenig verhindern wie Lohndumping im Handwerk. Jedoch hätte man festlegen können, daß Auftraggeber, die de facto Scheinselbständige in Form einer Ich-AG beauftragen, die üblichen Sozialbeiträge zu übernehmen haben.

Ein Ich-AG-Gründer kann die Belastungen durch die Sozialbeiträge allerdings erheblich reduzieren, wenn er geschickt vorgeht. Auf Antrag senkt die BfA in manchen Fällen ihre Forderung der Sozialbeiträge bis zu einem Mindestbeitrag von 78 Euro. Hierzu ist ein Gutachten von einem Steuerberater oder vom Finanzamt notwendig. Sogar eine Befreiung ist möglich, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die monatlichen Einkünfte regelmäßig nicht über einer Geringfügigkeitsgrenze von 400 Euro liegen. Ein Tip: Als gewinnmindernd werden beispielsweise Ausgaben für die Beschäftigung von Familienmitgliedern anerkannt. Rücklagen für künftige Anschaffungen können unter bestimmten Umständen ebenso anerkannt werden. Mit einer guten Kalkulation fällt es im ersten Förderjahr leicht, mit den eigenen Einkünften unter jener Geringfügigkeitsgrenze zu bleiben. Auch im zweiten Jahr ist es noch möglich, wenn etwa eine geringfügige Beschäftigung als Nebentätigkeit ausgeübt wird.

Fazit: Die Ich-AG ist etwas für alle, die ein oder zwei Jahre lang etwas Neues ausprobieren wollen und gelernt haben, ihre Interessen durchzusetzen. Egal, ob es funktioniert ­ wann hat man schon die Gelegenheit, sich mit einem Stipendium weiterzuentwickeln? Eile tut not ­ der Existenzgründerzuschuß hat ein Verfallsdatum: „Vom 1. Januar 2006 an finden diese Regelungen nur noch Anwendung, wenn der Anspruch auf Förderung vor diesem Tag bestanden hat."

Mario H. Kraus

 
 
 
Ausgabe 03 - 2004 © scheinschlag 2004