Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der Buchmarkt in seiner stalinistischen Phase

Dubravka Ugresic über den Literaturbetrieb als Unterabteilung des professionalisierten Entertainments

Der Schriftsteller, der die Regeln des Literaturmarktes nicht annimmt, ist zum Aussterben verurteilt. Ein Leser, der das Marktangebot ablehnt, ist zu literarischer Abstinenz verurteilt oder muß schon gelesene Bücher wieder lesen.

Man mag es bemerkenswert finden, Bücher mit solchen Thesen in bekannten deutschen Verlagen noch vorzufinden, man mag es als Gegenbeleg interpretieren: Seht her, selbst das läßt sich sagen, so frei ist der Markt. Aber die Schriftstellerin Dubravka Ugresic ist Kroatin, entstammt nicht den hiesigen Zurichtungsverhältnissen, muß man einwenden. Und sie hat ihre Abrechnung mit den Bedingungen des globalisierten Kulturmarktes in jenem Stil verfaßt, der von den Restintellektuellen als eben noch zumutbar empfunden wird: als beißende Satire, als leichtes Spiel im Rahmen der Vorgaben, die offengelegt werden. So ist ein süffiges Buch entstanden, das sich zum Markt verhält wie weiland die Harald-Schmidt-Show zum Rest des Sendeangebotes. Vom Literaturmarkt also ist die Rede, auf dem die Einschaltquote längst das ästhetische Urteil färbt, um es in der Tendenz zu ersetzen. Daß Dieter Bohlen auf einer Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse seine Startauflagen in die Mikrophone flötet und grinsend jene „Kollegen" in die Schranken weist, die sich an solchen Zahlen nicht messen können, faßt die von Ugresic beschriebenen Globalisierungseffekte zusammen. Freilich heißt ihr Beispiel Joan Collins und darf in London die entsprechende bookfair eröffnen, was im übrigen als Ausweis der deutschen Rückständigkeit im internationalen Gleichschaltungsprozeß gelten muß, denn hierzulande läßt man noch immer Autoren von zumindest moralischer Reputation solche Eröffnungsreden halten, also solche, die der jeweilige PEN für nationalrepräsentativ halten kann.

Daß Bücher Handelsware sind, ist dabei nicht neu und soll auch nicht weiter beklagt werden. Daß die Verkäufer der Ware Literatur aber zu Dealern von Mogelpackungen herabgesunken sind und uns unter Zeitdruck zusammengehauene Diktaphonabschriften als flottes Erzählen einer neuen Generation anzudrehen versuchen, taugt, die Figur des Gebrauchtwagenhändlers durch die des Verlegers zu ersetzen, wenn nach einer Metapher für Schmuddelzonen des Marktes gesucht werden soll.

Im modernen marktorientierten literarischen Leben wird der naive Schriftsteller entdecken, was andere längst wissen: Lektoren nämlich lesen nicht. Sie sind Börsenmakler geworden ...

Daß es um das Gespür geht, zur richtigen Zeit die Rechte am neuesten Sternchen des Schrifthimmels zu halten, konnten wir in den letzten Jahren dieses neuen Literaturmarktes beobachten. Verlage, die sich kurzläufigen Moden verschrieben, um den Mangel an Dauerbrennern und internationalen Größen zu kompensieren, haben uns das Phänomen Pop beschert. Daneben steht die Produktpalette aus Konzernen, die sich den Einkauf der Übersetzungsrechte sparen zugunsten des Kaufes der diese Rechte haltenden amerikanischen Verlage, um den Markt mit der seit Jahrzehnten gewünschten unerträglichen Leichtgängigkeit des Scheins fluten zu können, aus vollen Rohren, zu dank „Synergieeffekt" ermäßigtem Preis. Die vorgebliche Ware Literatur nur noch als Appendix solcher Operationen zu interpretieren, wäre an der Zeit. Eine notwendige Folgerung daraus, auf sogenannte Bücher-Seiten in Printmedien zugunsten der Analyse dieser Markenpolitik im prominenteren Wirtschaftsteil zu verzichten.

Die heutige Marktliteratur ist realistisch, optimistisch, fröhlich, sexy, explizit oder implizit didaktisch und für breite Leserschichten gedacht. Als solche erzieht sie die Werktätigen im Geiste des individuellen Siegs von etwas Gutem über etwas Böses. Als solche ist sie sozrealistisch.

Es macht den komischen Reiz der Analyse Ugresics aus, das Leitbild des Marktes als sein vorgebliches planwirtschaftliches Gegenbild zu beschreiben. Wer die seit 20 Jahren zur Liturgie erhobenen Klagen über Kopflastigkeit, experimentelle Verirrung und daraus resultierende Unlesbarkeit älterer westdeutscher Literaturen unter diesem Blickwinkel neu betrachtet, kann sich der Schlüssigkeit des Arguments nicht entziehen: Das Avantgarde-Bashing und die Verhöhnung schwieriger Literatur sind derart in Fleisch und Blut von Produktion, Distribution und Marketing (also der Lektoren und Agenten, des Buchhandels und der sogenannten Kritik) inkorporiert, daß dies nur als Folge gelungener Umerziehung gelesen werden kann. Die sogenannte Freiheit des Marktes feiert sich in der rhetorischen Vernichtung des schwer Vermittelbaren, dem das Versagen nach Marktprinzip als Nichtanpassung an geltende Regeln in der Welt, wie sie nun einmal sei, vorgehalten wird. Der Literaturbetrieb als Unterabteilung des professionalisierten Entertainments repräsentiert die Schließung einer ökonomischen Theorie zur allgemeinen Weltanschauung, seine Restrukturierung darf als stalinistische Phase des Buchmarktes gelesen werden. Das Internationale verkehrt sich so von der Vielstimmigkeit des Verschiedenen zur Folklore des Immergleichen in opulent gefärbtem Gewand und erinnert nicht nur Ugresic fatal an jene sozialistischen Großgemälde, auf denen Menschen aller Bevölkerungsgruppen dem Verkörperer des einen wahren Gedankens huldigen. Mit Blick auf die lachenden und jubelnden Trachtenträger aller Länder reiht sie sich in die einstmals roten, nunmehr „globalisierten" Garden ein und schreibt:

Wie dem auch sei, ich habe in diesem Krieg die richtige Seite gewählt. Ich bin Optimist. Zwar gebe ich zu, konvertiert zu sein, aber man weiß, daß die Konvertiten am ergebensten sind. Mit meiner Wahl habe ich beschlossen, die rostigen Waffen der kommunistischen Kulturideologie zu reaktivieren [...] und gegen unseren Feind zu kämpfen, den Weißen Toten Mann.

Wie genau der vermarktbare Klappentext der Marktkritik ihres Textes entgegensteht, darf dem Gegensatz zwischen der zitierten zynischen Wendung Ugresics und ihrer Verhüllung durch einen Verlagsmitarbeiter in der Klappe abgelesen werden. Die beschriebenen Phänomene „bilden für die Autorin jedoch keineswegs Anlaß zu einem kulturpessimistischen Lamento. Sie kennt nämlich das Heilmittel gegen die Vorherrschaft der Marktgesetze innerhalb der Literatur – und ihre Essays sind ein Beleg für deren Wirksamkeit: eine kosmopolitische, transnationale Literatur, die souverän aus allen Kulturen schöpft, dabei luzide ist und folglich ironisch sein muß." Es scheint, daß nichtlesende Lektoren ihre Verkaufsetiketten vor allem dann gegen die Intention der Autorinnen anbringen können, wenn diese fremde Sprachen sprechen, nicht wissen, wie ihnen geschieht. Es scheint auch, daß der Bau eines Werbesatzes zuweilen die eigentliche Motivation verrät, wenn nämlich die Wirksamkeit jene der Marktgesetze ist, nicht der Essays als Heilmittel gegen sie.

Ralf B. Korte

> Dubravka Ugresic: Lesen verboten. Aus dem Kroatischen von Barbara Antkowiak. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 22,90 Euro

 
 
 
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