Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der aktuelle Stadtfilm, allerdings von 1963

Die endlose Nacht von Will Tremper

Berlin, Flughafen Tempelhof. Nebel liegt über diesem An- und Abflugort. Für eine Nacht werden hier sämtliche Passagiere festsitzen. Kein Entkommen sozusagen.

1963 hat Will Tremper den Film Die endlose Nacht vor Ort gedreht. Es war nicht nur für ihn einer der frühesten Filme, sondern auch für die junge Hannelore Elsner im Monica-Vitti-Kleid. Aber nicht nur dieses Kleid zeigt die starke Beeinflussung des Regisseurs durch das damalige neue italienische und französische Kino. Das diesjährige Internationale Filmwochenende Würzburg hat im Zuge einer Hannelore-Elsner-Retrospektive diesen Berlin-Film ausgegraben. Die endlose Nacht ist heute aktueller denn je. Worauf man im neuen deutschen Kino 2004 nur noch hoffen kann, das wurde anscheinend bereits 1963 gedreht.

Das Tempelhof-Setting fungiert hier als Nicht-Ort, der weder die monumentale faschistische Flughafenarchitektur noch die damaligen territorialen und sozialen Verhältnisse im Nachkriegs-Berlin zu verklären sucht. Sie sind unausgesprochener Kontext sämtlicher Situationen. Gleichzeitig werden unglaublich amüsante Episoden einer Nacht vorgeführt. Die bleiben dabei ellipsenhaft, ohne eines Dogmas zu bedürfen. Polnische Jazzmusiker treffen auf saturierte Wirtschaftswunder-Deutsche, ein „Russen"-Witz kann schon auch mal drin sein (man weiß ja, wo man hier ist!). Enno Patalas schrieb 1963 in der Filmkritik sogar von einer „bundesdeutschen Bestandsaufnahme". Jede Figur ist hier für eine Überraschung gut, die allen Klischee-Erwartungen zuwiderläuft. Perfekte subtil-humoristische Strekken machen einen staunen im unterkühlten Design-Setting der gläsernen Flughafen-büros. Keine Episode braucht eine Verknüpfung zur allgewaltigen großen Handlung, jede steht für sich und hält eine gleichgewichtige Spannung mit den anderen aufrecht. Die Zeit vergeht, wie sie eben vergeht, Tremper verläßt Personen und findet sie woanders wieder. Das Dazwischen darf erahnt werden, er muß nicht alles erzählen. Die Spannung hält ungebrochen an. Alltagsbeobachtungen, wie man sie lange nicht mehr feiner und subtiler gesehen hat.

Berlin existiert hier grundsätzlich nur in diesem Transitort. Ein anderes Berlin bekommt man nicht zu sehen. Berlin ist der Flughafen. Man meint, Tremper hätte alle aktuellen Stadttheorien auf einmal gelesen. Oder er ist ihr Prophet. Die Angestellte einer Fluggesellschaft und ihr Kunde sind nicht die einzigen, die sich wie in einem Aquarium vorkommen. Sie verstecken sich hinter Landkarten der großen, weiten Welt, denn diese Karten sind die einzigen, die die Funktionen einer Wand in diesen Räumen einnehmen dürfen. Tatis Playtime läßt grüßen.

Die Aufführung von Trempers' Film durch das Filmwochenende Würzburg war ein unglaublicher Erfolg. Ein ausverkauftes Haus, das schöne Fünfziger-Jahre-Corsokino. Sozusagen der Ort für eine Wiederaufführung. Hannelore Elsner und Rudolf Thomé waren genauso überrascht und begeistert wie das Publikum. Zwischenklatscher mußten sein. Die Auffindung der verschollenen Filmkopie war einem Sammler zu verdanken, die Frage ist jetzt nur noch, ob wir den Film bald wieder im Kino zu sehen bekommen. Dieser Berlin-Film wäre nicht zuletzt in unserer sogenannten Kinohauptstadt ein bitter nötiger Film – und das nicht zuletzt im Zuge der Berlinale-Hysterie. Denn er zeigt, was Berlin verstärkt geprägt hat und was es tatsächlich ist: eben jene Transiträume, Verkehrsknotenpunkte und Nicht-Orte, oftmals verknüpft mit fragwürdigen Architekturkonzepten, die Beobachtungen städtischen Lebens viel authentischer als alle aufgehübschten vorgeblichen „Mitten" der Metropole zulassen. Viele neue Berlin-Filme werden dann allerdings wirklich alt aussehen. Die endlose Nacht ist jedenfalls tatsächlich end- und somit zeitlos.

Tina Kaiser

 
 
 
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