Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

musik für die massen: Stummfilme

Stummfilme inspirieren seit jeher Musiker. War früher die Musikbegleitung allerdings nur Beiwerk, sorgen heute Neukompositionen bekannter Musiker für regen Besucherzuspruch bei Wiederaufführungen. Begehrtes Objekt der Vertonung sind die großen Filme des Expressionismus. Recht dankbar dürften deswegen Lambchop gewesen sein, als sie vom Filmfestival San Francisco den Auftrag bekamen, den melodramatischen Pseudo-Vampir-Film Sunrise von F.W. Murnau zu vertonen. Und es scheint, als habe sich Mastermind Kurt Wagner von Lambchop vom Perfektionismus und Ideenreichtum Murnaus anstecken lassen. Ein Teil dieser filmischen Arbeiten haben es auf das neue Doppel-Album geschafft. Nach dem grandiosen, aber sehr ruhigen Vorgängerwerk glänzt Aw C´mon/No You C´mon (CitySlang) durch Vielschichtigkeit und Abwechslungsreichtum. So bewegen sich die Songs zwischen düsterem Moll und schrägem Pop-Jazz, romantischer Eleganz und gepflegt schmutzigem Rock'n'Roll. Das Konzept geht nicht durchgängig auf, und so tapst man gemeinsam mit der Band durch das Labyrinth der musikalischen Widersprüchlichkeiten – Murnau hätte aber wohl seine Freude an dem Werk gehabt.

Sollte es jemals einen zweistündigen Stummfilm geben, der zunächst das Vereisen und dann das Auftauen eines Wasserfalls zeigt, wären die folgenden Veröffentlichungen der ideale Soundtrack. Während Pop Ambient 2004 (Kompakt) den Teil des langsam vereisenden Wasserfalls in winterlicher Landschaft übernehmen könnte, widmen sich ISAN den Zeitrafferaufnahmen des auftauenden Sturzbaches.

Zunächst aber das Einfrieren: Pop Ambient ist eine Sammlung extrem verlangsamter elektronischer Musik, die durch absolute Klarheit besticht. Die neun Künstler haben es geschafft, dem ständigen Rauschen der Welt Einhalt zu gebieten, die permanente Bewegung der Moleküle auf ein angenehmes Minimum zu reduzieren. Es sind keine Aufnahmen von Bewegungen in Zeitlupe, wohl aber Beschreibungen von abgebremsten Zuständen. An der einen oder anderen Stelle gibt es dann zwar auch mal einen Anflug von Esoterik (Panflöten!), aber insgesamt wissen die Musiker auf Pop Ambient um die Kunst von warmen Klängen und kühler elektronischer Distanz.

Fast programmatisch paßt der Titel Meet Next Life (Morr Music) auf die Metapher des aus der Erstarrung wieder auftauenden Wasserfalls. Einzeln lösen sich musikalische Tropfen aus der Gesamtheit des Eises, streifen beim Fall die unter ihnen hängenden Eiszapfen, und langsam wird aus den isolierten Tropfen ein zartes Plätschern. Fast wie eine Meditation jenseits von Kälte, aber auch jenseits von Kitsch wirkt Meet Next Life wie ein Frühlingshauch. Über zwei Jahre haben sich ISAN für dieses Album Zeit gelassen ­ und es kommt als Vorbote es Frühlings genau richtig.

Marcus Peter

 
 
 
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