Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Die stehen doch ständig unter Drogen!"

Die Fixerstube in Moabit wurde eröffnet

Am 5. Februar lud die CDU in Moabit zu einer Bürgerversammlung unter dem Motto: „Experiment Fixerstube in der Birkenstraße 51 stoppen!" In der gutbürgerlichen Kneipe der Arminiushalle fanden sich dann auch ca. 50 gute deutsche Bürger ein. Vor allem kamen diejenigen, die bereits im Rahmen einer Bürgerinitiative über 2300 Unterschriften gegen den Drogenkonsumraum gesammelt hatten, den das Bezirksamt kurz zuvor an der Birken-/Ecke Stromstraße eingerichtet hatte. Es herrscht die Angst vor der unbekannten Droge Heroin, die die aufgebrachten Ortsansässigen mit Dreck, Verbrechen und Verderb der Jugend gleichsetzen. So mokiert sich die CDU in ihrem Info-Blatt über das in den Leitlinien zum Betrieb und zur Nutzung von Konsumräumen veröffentlichte Ziel, „einen selbstkontrollierten und kulturell integrierten Drogenkonsum zu erlernen und zu praktizieren." Soll unseren Kindern jetzt etwa neben neuer Rechtschreibung und höflichen Umgangsformen auch der Gebrauch gesundheitsschädlicher Betäubungsmittel gelehrt werden?

Bestätigt auch durch ein Referat des SYNANON-Mitarbeiters Michael Frommhold herrscht in der Arminiushalle mehrheitlich die Meinung, nur Abstinenz sei ein sinnvoller Umgang mit Drogen. Folgerichtig verzichtet man wenigstens während der Diskussion darauf, Alkohol auszuschenken. Dieses Experiment der Abstinenz am eigenen Leibe amüsiert insbesondere die Stammgäste der Arminiushalle, die sich im Nachbarraum in die Besinnungslosigkeit saufen.

Gesundheitsstadtrat Christian Hanke (SPD) und Rolf Bergmann vom BOA e.V., Träger des Druckraums, hatten wenig Aussicht, die Versammelten davon zu überzeugen, daß es in Moabit zahlreiche Junkies gibt, die für abstinenzorientierte Therapien nicht erreichbar sind ­ Abhängige, deren Überleben zunächst einmal gesichert werden muß. Doch bevor die ideologische Debatte zwischen Prohibitionisten und Liberalen richtig in die Gänge kam, offenbarten die „betroffenen Bürger" ihre eigentliche Abneigung gegen die Institutionalisierung der Drogenszene in ihrem Kiez: Der ganze Stadtteil drohe zu kippen! „Erst verdrängt man die Szene vom Breitscheidplatz Richtung Norden, und dann verlangt man von uns, mit den Junkies und Dealern umgehen zu lernen." Ein Argument, das trotz seiner Einfältigkeit schwerlich von der Hand zu weisen ist. Zumal der Gesundheitsstadtrat nicht die versprochene Bürgerbeteiligung bei der Standortwahl gewährt hatte ­ mit der fragwürdigen Begründung, daß die Bürger bereits zwei Standorte abgelehnt hatten.

Hanke, der sich zwischenzeitlich schon beschwerte, immer dieselben bangen Fragen beantworten zu müssen, ist sicherlich nicht dafür verantwortlich, daß Berlin jahrelang eine progressive Drogenpolitik versäumt hat ­ und das trotz ca. 200 Drogentoten jährlich. Sogar Münster und Saarbrücken verfügen schon seit längerem über funktionierende und zumindest tolerierte Drogenkonsumräume. In vielen westdeutschen Städten konnte nachgewiesen werden, daß Fixerstuben auch denjenigen zugute kommen, die sich ausschließlich legal betäuben: weniger herumliegende Spritzen, weniger Drogentote und vermutlich auch eine effektivere polizeiliche und sozialpädagogische Kontrolle der Szene. Die Moabiter befürchten dennoch, die Einrichtung würde noch mehr unerwünschtes Gesindel anziehen: Es würde mehr Dealer geben, weil die Konsumenten ihren Stoff schließlich selbst mitbringen müssen. Und noch mehr Junkies würden rumhängen, die nicht in der Lage seien, sich die Öffnungszeiten zu merken ­ „die stehen ja ständig unter Drogen!"

Thomas Sebastian, Sozialwissenschaftler der Beratungsstelle in der „Birkenstube", hält diese Bedenken für unbegründet. Die bisherigen Nutzer wüßten durchaus mit den Öffnungszeiten umzugehen, baten auch schon, diese in die Abendstunden zu verlängern. Das Angebot von je nur drei Stunden montags bis donnerstags ­ das sehen so-gar Anwohner und CDU-Politiker ein ­ reicht nicht aus, Junkies endgültig aus den Hauseingängen und City-Toiletten zu locken. Mit „erhöhter Dealertätigkeit" ist laut Sebastian nicht zu rechnen. Schließlich ist die Zielgruppe die kiezansässige Szene und diese hat auch bisher ihren Stoff in der Nähe erworben. Kaum einer wird wohl für einen Druck durch die halbe Stadt fahren. Zwar fordert die CDU die Anwohner auf, die zuständigen Stellen sofort über verdächtige Vorkommnisse zu informieren, doch würde es die Einrichtung einer Fixerstube konterkarieren, wenn gerade dort der Verkauf von Drogen massiver unterbunden würde als in anderen Stadtteilen. Sebastian rechnet damit, daß weder die Drogenkriminalität in Moabit ausufern wird noch die Junkies Schwierigkeiten haben werden, ihren Stoff zu erhalten.

Überhaupt beschreibt er die ersten Tage nach Eröffnung des Konsumraums als gänzlich unaufgeregt. Zwar protestierten noch kurz zuvor etwa 20 Leute vor der Birkenstube, ihre Drohung, sich dort täglich einzufinden, machten sie jedoch nicht wahr. Und als die Hausbewohner einen im Treppenhaus schlafenden Alki eindeutig als Dealer auszumachen glaubten, schickte der Sozialwissenschaftler ihn lieber selber weg, als unnötig die nachbarschaftliche Duldung zu gefährden.

Besucht man die Birkenstube, wird schnell deutlich, daß keinerlei Ähnlichkeit mit einer „Drogenhöhle" besteht. Eher erinnert die sterile Einrichtung an ein Krankenhaus. Nur, daß neben Spritzen, Tupfern und Desinfektionsmitteln eben auch Feuerzeuge und kleine Löffel für die Besucher bereit liegen. Medizinisches Personal überwacht die Einnahme des Heroins und Kokains und verarztet die klassischen Begleiterscheinungen des Fixens wie Entzündungen der Venen.

Daß die Fixerstube kein rechtsfreier Raum ist, zeigen die strikten Regeln: Zugang haben nur Dauerkonsumenten, Volljährige, halbwegs Nüchterne und keine Abhängigen, die in einem Substitutionsprogramm zum Beispiel mit Methadon stecken. Cannabis und Alkohol sind in der Birkenstube nicht erlaubt. Daß das Projekt auch keine Kapitulation vor der Sucht darstellt, zeigen die Versuche des Personals, auf die Beratungsangebote aufmerksam zu machen und die Junkies zumindest von einem „Safer Use" zu überzeugen. Ob diese die Ratschläge befolgen, bleibt letztlich ihnen selbst überlassen. Schließlich soll das sogenannte niedrigschwellige Angebot nicht durch nervende Erziehungsversuche und unerwünschte Einmischungen verwässert werden. Doch auch Beratung und Hilfe zum Ausstieg sind Teil des Projekts. In der ersten Woche konnten eine Entgiftung, ein Therapieplatz und ein Wohnraum vermittelt werden.

Dennoch ist BOA nicht ganz zufrieden. Das liegt nicht an Anwohnerprotesten oder polizeilichen Gängeleien, sondern an mangelnden finanziellen Mitteln. Gerade mal 172000 Euro jährlich geben die Bezirke für das Pilotprojekt aus. Das soll für zwei Drogenkonsumräume ­ der andere befindet sich in der Dresdener Straße in Kreuzberg ­ und das bereits im November initiierte Drogenkonsum-Mobil reichen, das zwischen dem Bahnhof Zoo und der Kurfürstenstraße pendelt. In der Birkenstube ist nicht einmal genügend Geld vorhanden, um das Personal während der gesamten Öffnungszeiten zu entlohnen.

Susann Sax

 
 
 
Ausgabe 02 - 2004 © scheinschlag 2004