Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Zwischen Mietshaussyndikat und Immobilienmarkt

Der Existenzkampf linker Projekte am Beispiel der Scharnweberstraße 38

Mit dem Bekanntheitsgrad manch alternativer Lokalität, wie sie sich in den „Besetzermeilen" Rigaer oder Kreutziger Straße finden, kann es die nicht weit entfernte Scharni 38 mit der Kneipe Schnarup Thumby nicht aufnehmen. Bei vielen ist sie gerade wegen dieses familiären Charmes beliebt. Im Friedrichshainer Südkiez, in der Scharnweberstraße gelegen, wurde der vordere Teil des Hauses 1990 besetzt und ein Jahr später von der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) mit Rahmen- und Etagenverträgen befriedet. Lange Zeit war Ruhe; der zur Colbestraße gelegene Flügel ist bis heute marktüblich vermietet.


Foto: Antje Lüdecke

Über zehn Jahre lang konnte das selbstverwaltete Hausprojekt ohne größere Probleme existieren und verschiedene Vorhaben realisieren. So entstanden eine Werkstatt, ein Atelier und ein Band-Proberaum. Die Hausgemeinschaft, die sich eine Großküche und ein Fotolabor teilt, besteht heute aus 16 Leuten inklusive einem Kind und einem Jugendlichen. Im Hochparterre hat sich der Frustschutz e.V. einquartiert und bietet Sprachkurse, Filme, politische Veranstaltungen und Vegetarisches zum Selbstkostenpreis.

Dem fröhlichen Spontitreiben könnte aber bald ein Ende gesetzt werden: 2001 wurde das Haus rückübertragen und vom alten neuen Besitzer (der den Rahmenvertrag kündigte) sofort weiterverkauft an die Borchert & Daniel GbR, die zunächst mit den Bewohnern in Kaufverhandlungen trat, diese jedoch bald wieder abbrach – eigener Auskunft nach handelte es sich um „Absichtserklärungen seitens der Bewohner, die mangels einer unterstützenden Genossenschaft leer blieben", so Wolf-Dieter Borchert, einer der beiden Hausbe-sitzer. Im November 2003 dann der Schock: Fristlose Kündigung wegen Mietschulden. Diese allerdings waren teilweise durch vorgenommene Mietminderungen und Fehlbuchungen entstanden, teils hatten sie sich über zwei Jahre summiert, ohne daß dies moniert worden wäre. Um ganz sicher zu gehen, wurde eine ordentliche Kündigung gleich mitgeschickt.

Die Leute in der Scharni 38 müssen um ihr Dach über dem Kopf bangen. Der Eigentümer hegt Sanierungspläne, gibt sich aber nach der Begleichung der Mietschulden versöhnlich und ist „natürlich an einer einvernehmlichen Lösung interessiert, solange der Mietvertrag eingehalten wird". Eine Besonderheit dieses Mietverhältnisses sieht er allerdings in der Innengestaltung des Hauses, die den behördlichen Auflagen angepaßt werden müßte. Kompromißfähig sei man ­ aber kein Wort vom gesellschaftlichen Bezug, vom sozialen Engagement des Projekts.

Den neu anlaufenden Kaufverhandlungen steht er offen gegenüber, denn die Besetzer von gestern wollen zu Besitzern von morgen werden. Einem Genossenschaftsmodell, wie es in der benachbarten Kinzigstraße 9 angewendet wurde, stehen sie allerdings skeptisch gegenüber. Sie favorisieren nun das Modell des „Mietshäusersyndikats". Das in Freiburg beheimatete Syndikat „unterstützt mit Geld aus realisierten Projekten die Gründung einer GmbH, die das Haus kauft, und trägt als stiller Gesellschafter dafür Sorge, daß das Haus dem Immobilienmarkt auf Dauer entzogen wird", berichtet Joel vom Hausplenum. Die Selbstbestimmung soll dabei bestehen bleiben.

Wie viele Ex-Besetzer stehen die Bewohner vor der Frage, wie sie ihre Wohnverhältnisse auf Dauer sichern können. Erst vor kurzem beispielsweise wurde das X-Beliebig (Liebig-/Ecke Rigaer Straße) verkauft, womit die Überlegungen zum Eigenerwerb über den Haufen geworfen wurden. Das soziale Zentrum Scharni 38 wollen die Nutzer auf jeden Fall erhalten – was für den Kiez auch wünschenswerter wäre als noch mehr leerstehende Luxuslofts. Micha Welskopf

 
 
 
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