Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Über den Berliner Kranken kreisen die Geier

Sanierung oder Insolvenz der Vivantes GmbH?

Foto: Steffen Schuhmann

Foto: Steffen Schuhmann

Die Berliner Krankenhausgesellschaft Vivantes steht vor dem finanziellen Aus. Und es ist noch nicht absehbar, ob die Stadt ihren Betrieb nicht einfach pleite gehen läßt. Welche Folgen die Situation für die 14000 Beschäftigten haben wird, ist unklar. Sicher ist nur, daß die Gesundheitsversorgung in der Stadt insgesamt betroffen ist.

Bis Ende Februar will der Senat einen Sanierungsplan der Geschäftsführung der Krankenhausgesellschaft Vivantes sehen. Diese beendete das Jahr 2003 mit fast 30 Millionen Euro Schulden, lag damit über dem Doppelten des Erwarteten und steht kurz vor der Insolvenz. Um die neun Krankenhäuser nicht direkt pleite gehen zu lassen, gewährte das Land Berlin eine Bürgschaft für weitere 13 Millionen Euro Kredit. Damit kann Vivantes bis Mai weitermachen.

Schuld an der Lage der Krankenhausgesellschaft seien die hohen Personalkosten, meint die Geschäftsführung. Trotz einem Abbau von 3000 Ganz- und Halbtagsstellen seit der Gründung 2001 machen die Personalkosten der immer noch 14000 Stellen 565 Millionen Euro aus. Das sind zwei Drittel der Gesamtkosten des Unternehmens. Finanzsenator Sarrazin (SPD) fordert nun von den Beschäftigten des stadteigenen Unternehmens einen Beitrag zur Sanierung. Verlangt wird, daß die Beschäftigten auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten und damit 37 Millionen in diesem Jahr eingespart werden können. Der Gesamtbetriebsrat von Vivantes hat zugestimmt, daß die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Verhandlungen über einen Notlagentarifplan mit den Arbeitgebervertretern aufnehmen kann.

Allerdings ist es ungewiß, ob diese Verhandlungen überhaupt noch zu Ende geführt werden können. Teile der SPD-PDS-Regierung in Berlin denken offen darüber nach, das Unternehmen in die Insolvenz zu führen. Zwar würde die Stadt dann als alleiniger Anteilseigner und Bürge auf den Schulden von 230 Millionen Euro sitzen bleiben. Aber langfristig gesehen würde man nicht für neue Schulden aufkommen müssen. Eine Insolvenz würde das Unternehmen attraktiver für private Käufer machen. Denn im Rahmen eines Insolvenzverfahrens können nach drei Monaten die Verträge aller Angestellten gekündigt werden. Anschließend können neue Verträge zu weit niedrigeren Löhnen abgeschlossen werden.

Die ehemals städtischen Kliniken Humboldt, Spandau, Am Urban, Hellersdorf, im Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Auguste-Viktoria, Neukölln und Wenkkebach waren Anfang 2001 in die privatwirtschaftlich betriebene Vivantes GmbH überführt worden. Die Arbeitnehmer nahmen die Umwandlung der städtischen Kliniken zu dieser GmbH, die zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört, zähneknirschend hin. Ihre Vertreter handelten einen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis 2006 aus und setzten durch, daß die Tarife des öffentlichen Dienstes beibehalten werden. Durch die Privatisierung befreite sich Berlin auf einen Schlag von 190 Millionen Euro Schulden inklusive jährlicher fünf Millionen Euro Schuldendienst. Diese wurden dem neugegründeten Unternehmen Vivantes mit auf den Weg gegeben. Statt einer Entschuldung seitens des Senats sollte die GmbH sich durch den Verkauf von nicht benötigten Grundstücken selber sanieren. Die fallenden Grundstückspreise in Berlin vereitelten diese Rechnung.

Bundesweit sind immer mehr kommunale Krankenhäuser von der Überführung der öffentlichen Gesundheitsversorgung in private Unternehmen betroffen. Als Begründung für den Privatisierungsschub muß die angebliche Kostenexplosion im Gesundheitswesen herhalten, von denen die öffentlichen Kassen entlastet werden sollen. Tatsächlich sind die Ausgaben seit 1975 kaum gestiegen, die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen nehmen jedoch kontinuierlich ab. Die steigende Arbeitslosigkeit reduziert die Zahl der Beitragszahler.

In Berlin versorgen knapp 70 Krankenhäuser mit 22500 Betten stationär über 650000 Patienten im Jahr. Die neun Häuser der Vivantes GmbH stellen über 5000 dieser Betten und behandeln rund 180000 Patienten jährlich. Über die Situation in den Vivantes-Häusern berichten Mitarbeiter von anhaltender Arbeitsüberlastung durch Personalmangel und Schwierigkeiten wegen mangelnder Ausstattung, die medizinische Grundversorgung aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt, daß die Abrechnung von Leistungen mit den Krankenkassen derzeit auf Fallpauschalen umgestellt wird, sogenannte Diagnostic Related Groups (DRG). Ökonomisch wichtig wird, möglichst viele Patienten in kurzer Zeit zu behandeln.

Die Angestellten von Vivantes sehen sich vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt. Weigern sie sich, Kürzungen ihrer Bezüge hinzunehmen, droht die Insolvenz. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Volker Gernhardt trat Ende Januar zurück. Er wollte den Beschluß der Mehrheit des Betriebsrat nicht mittragen, da die Verhandlungen über einen Notlagentarif erst der Anfang von Kürzungen seien. Der Geschäftsführer Wolfgang Schäfer soll in Krisenverhandlungen mindestens 150 der insgesamt 1500 Arztstellen zur Debatte gestellt haben. Auch in der Verwaltung und auf den Stationen sollen weitere 1000 Stellen abgebaut werden.

Bei den Beschäftigten herrscht neben Unmut und dem Rechnen, wieviel nach den Kürzungen noch übrigbleibt, vornehmlich Angst: Angst vor der Zukunft und Angst, durch Proteste die eigene Entlassung zu beschleunigen. Trotzdem fangen einige Beschäftigte an, sich mit anderen Gruppen, die am Protest gegen die Kürzungen im sozialen Bereich beteiligt sind, zu organisieren. Das Motto lautet: unabhängig, nicht parteipolitisch und außergewerkschaftlich.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich Beteiligte der Regierung an ihre Aussagen im Koalitionsvertrag erinnern. Dort sprachen sie noch davon, daß die gesundheitliche Lebensqualität verbessert werden soll und die Krankenhausversorgung zu 100 Prozent in der Hand der Stadt bleibt. Angesichts des Ausverkaufs öffentlicher Güter in Berlin ist fraglich, ob im Fall Vivantes die Koalitionsfrage gestellt wird. Die PDS-Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner schweigt bislang, und der Finanzsenator der SPD scheint die Insolvenz als Chance zu sehen.

Lorenz Matzat

 
 
 
Ausgabe 02 - 2004 © scheinschlag 2004