Ausgabe 02 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Mietobergrenzen vor dem Aus

Das Oberverwaltungsgericht hat in zweiter Instanz jüngst ein Urteil gefällt, das für die Bewohner der Sanierungsgebiete schwerwiegende Folgen haben könnte.

Anlaß war die Klage einer Hausbesitzerin, die nicht gewillt war, die Mietobergrenzen für das von ihr modernisierte Haus im Samariterviertel zu akzeptieren. Erstaunlich emotionslos ging der Vorgang durch die Presse, denn immerhin besagt der richterliche Spruch, daß die für 18 von 30 Berliner Sanierungsgebiete bestehenden Mietobergrenzen in Zukunft nicht mehr gelten. Diese waren in den neunziger Jahren vor allem in Ost-Berlin eingeführt worden, um die Verdrängung alteingesessener Mieter durch Luxussanierungen zu verhindern. Doch die Zeiten, in denen Stadterneuerung noch fast ausschließlich Sache der öffentlichen Hand war, sind vorbei: Seit 2002 sind öffentlich geförderte Programme zur Sanierung von Wohnraum Geschichte, modernisiert wird aus privaten Interessen. Und ohne öffentliches Geld akzeptiert die Immobilienwirtschaft eben keine öffentlichen Diktate.

Ab jetzt kann sie sich guten Gewissens auf das im Bürgerlichen Gesetzbuch unter Paragraph 559 festgelegte Recht berufen, elf Prozent der Modernisierungskosten unter Außerachtlassung des Mietspiegels auf die Jahresmiete umzulegen. Der Berliner Mieterverein erwartet, daß dadurch die Miete nach Modernisierungen durchschnittlich um 2,50 Euro monatlich steigen wird. Auf der sicheren Seite sind diejenigen Mieter, deren Wohnungen mit öffentlichen Mitteln modernisiert worden sind oder in deren Mietverträgen ausdrücklich Modernisierungsvereinbarungen mit dem Vermieter festgelegt wurden.

Schlecht sieht es für Mieter aus, deren Wohnraum noch nicht auf Hauptstadtniveau gebracht worden ist. Beschließt der Eigentümer eine Modernisierung, kann sich der Bewohner nach wie vor juristisch nicht dagegen wehren. Dabei sind Menschen, die sich mit Außenklos und Ofenheizungen zufrieden geben, sicherlich keine unverbesserlichen Nostalgiker, sondern meist schlicht nicht in der Lage, „zeitgemäßeren" Wohnraum zu bezahlen.

Durch den Präzedenzcharakter des Urteils stehen jetzt die jahrzehntelangen Versuche, durch Sondervereinbarungen mit den Hausbesitzern wenigstens teilweisen Schutz für sozial Schwächere zu erreichen, vor ihrem endgültigen Scheitern.

Thomas Gensheimer

 
 
 
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