Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Rattern und Soßen

Ein Plädoyer für den Ausflugsimbiß

Kaum ein Berliner Gastronomie-Report kommt ohne die Behauptung aus, daß es bei Imbissen auf die Soße ankomme. In Wirklichkeit ist es der Standort, der einen Imbiß zu einem guten Imbiß macht und sein mehr oder weniger minderwertiges Essen zur Nebensache. Unter der S-Bahn-Brücke an der Kantstraße befindet sich ein guter; man kann dort die sonnabendliche Einkaufsschlacht aus sicherer Entfernung betrachten und ist dennoch ganz dabei. Ähnlich angenehm ist es auch am anderen Ende des Ku'damms, Nähe Adenauerplatz, wo man neben Pelzträgerinnen stehend totes und geschrotetes Tier verspeist, an der Taxihalte Mehringdamm/Ecke Yorckstraße, beim berühmten KIELER ECK an der Steglitzer Schloßstraße, beim noch berühmteren KONNOPKE am U-Bahnhof Eberswalder Straße oder auch im Lahmacun-Laden am Kottbusser Tor, der den besten Ausblick auf die an den Marktständen vorbei drängelnden Passanten bietet.

Der schönste Standort für einen Imbiß aber ist ein S-Bahnhof draußen vor der Stadt. Es gibt Leute, die jeden Ausflug ins Grüne hier beginnen. Bevor sie sich den echten Ausflugslokalen ausliefern, in denen außer einem kühlen „Ich-bedanke-mich" an menschlichen Lauten nur Flüstern und Schlürfen zu hören ist und es Kalbsmedaillons mit Petersilienkartoffeln gibt, auf Wunsch und für 2,50 extra auch matschige Bratkartoffeln, wo man sauren Wein bekommt oder trockenen Kuchen mit Kaffee, aber nur im Kännchen, steht doch in der Karte. Bevor sie sich auf die feindliche Eigentlich-haben-wir-schon-Feierabend-Stimmung jener vorgeblich gemütlichen Waldhütten einlassen, kurz: Bevor sie richtige Ausflügler werden, besuchen sie den letzten Vorposten der Großstadt und nehmen, kaum der Bahn entstiegen, ein Pils und eine Currywurst.

Foto: Jörg Gruneberg

Auch hier kein edler Wein, natürlich, und auch keine überfeinerte Kochkunst. Auch hier ist man fremd und spürt es, aber Gäste und Belegschaft sind gelegentlich zu Gesprächen bereit. Ein Großteil lebt vor Ort, und die Restlichen kommen per Bahn, selten mit dem Auto. Sie wissen: Hier, an der Endstation, ist der Ausgang der Stadt, nicht auf dem Parkplatz „zum Seeblick".

In Stil und Aufmachung sind die Ausflugsimbisse kaum auf einen Nenner zu bringen. Ein Klassiker war die backsteinerne Würstchenbude auf dem Bahnhofsvorplatz in Oranienburg, die inzwischen ersatzlos geschlossen wurde. In alten Bahnhöfen war immer eine Eß- und Trinkstube angesiedelt; viele von ihnen stehen heute leer, so daß etliche S-Bahn-Haltestellen, wenn überhaupt, nur noch über ordinäre Asien- oder Dönerbuden verfügen, die für einen zünftigen Ausflugsimbißausflug ungeeignet sind. An anderen Stellen ist wiederum eine ganz unnötige gastronomische Perfektionierung zu beobachten: Der Bahnhofsimbiß am S-Bahnhof Grunewald etwa stellt sich trotz seiner halb verrotteten Holzbänke als gediegener Berliner Biergarten heraus, ähnlich die von Schlachtensee, Wannsee oder Wandlitz. Letzterer entpuppt sich bei genauerem Hinsehen gar als richtiges Restaurant mit Pension und erinnert insoweit an die steifen Waldgasthäuser der Umgebung. Dennoch: Die Bedienung ist gesellig, die Kundschaft aus Einheimischen und Besuchern gemischt und das Essen wahlweise einfach und billig oder eben auch wirklich gut. Die Nähe der Gleise, der Anschluß an die weite Welt wirken Wunder.

Mein Favorit ist die Imbißstube des S-Bahnhofs Wilhelmshagen: ein einfacher Anbau seitlich am Empfangsgebäude, eine Durchreiche nach draußen, ein paar Kiefern davor, dahinter rattert die Bahn. Mutti kocht, der Sohn macht den Tresen und erzählt von damals, als er in Friedrichshain in der Szene war. Die Stammgäste stellen sich vor und lassen es sich nicht nehmen, dem Besucher die Schönheiten ihres Städtchens zu erläutern; lang und breit diskutieren sie die besten Spaziergangsrouten aus. Und das Essen? Nicht schlecht. Die Wirtsleute haben ein Geheimnis: Die wahre Konnopke-Soße ist nämlich schon längst nicht mehr bei KONNOPKE zu finden. Das Rezept des legendären Curryketchups mit Tomatendosengeschmack geriet schon vor vielen Jahren in Vergessenheit, der Kult-Imbiß in Prenzlauer Berg fabriziert bloß eine billige Kopie. Nur sie, Mutti, die damals bei KONNOPKE arbeitete, kennt noch das Originalrezept, und darauf ist sie stolz. Die Soße sei schließlich das Wichtigste.

Johannes Touché

 
 
 
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