Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Wesentliche Verschönerungen sind unbedingt zu unterlassen

Eine Hommage auf die finnischen Dreierbierbars

MWenn von Finnland die Rede ist, spricht manch einer gern von einer fremden, gar exotischen Kultur. Auch der Verlag Zweitausendeins läßt in der Ankündigung seines neuen Buches über finnische Bierbars das Klischee von einer „fremden Welt" nicht aus. Naja.

Die Dreierbierbar ist die finnische Entsprechung zur deutschen Kneipe bzw. zum englischen Pub – mit zwei wesentlichen Unterschieden: Ausgeschenkt wird lediglich das Dreierbier, will heißen das Bier der Kategorie III (eine Einteilung entsprechend dem Alkoholgehalt) mit 4,6%; härtere Alkoholika gibt es nicht. Zudem trifft sich in den finnischen Bierbars fast auschließlich das „niedere Volk", Arbeiter, Arbeitslose, Rentner, auf dem Land Kleinbauern.

Der finnische Tangomusiker, Komponist und Filmemacher M. A. Numminen unternahm eine halbjährige Forschungsreise zu insgesamt 350 Bierbars im ganzen Land, im Norden, Süden, Osten, Westen. Hernach brachte er ein Buch heraus, in dem er seinen Streifzug als M. A. Numminen, Der Kneipenmann, nachzeichnete und 132 Lokale porträtierte ­ in Wort und Bild.

In Finnland erschien das Buch bereits 1986; es ist mithin kein Kneipenführer, es ist ein zeitgeschichtliches Dokument, ein Schelmenroman, eine soziokulturelle Studie oder aber besser noch: eine Bibel. Denn Numminen versteht sich gewissermaßen als Missionar, er will der Welt von einigen der „bedeutendsten Kulturdenkmäler ganz Finnlands", eben den Dreierbierbars, künden und ihren „dostojewskimäßigen" Besuchern, der finnischen Unterschicht, diesen „schlaffärschigen Baseballkappentypen in Trainingshosen", ein Hohelied singen. Für die eine oder andere Dreierbierbar fordert Numminen gar, sie unter Denkmalschutz zu stellen, „auch wesentliche Verschönerungen seien unbedingt zu unterlassen".

Die Fotos zeigen Steinhäuser, Bretterbuden, Betonklötze, die meisten in rechtschaffener Einfachheit oder, wie Numminen über eines seiner Lieblingslokale sagt, „alles in allem in Würde heruntergekommen". Beeindruckend die erhabene Schmucklosigkeit, die Konzentration aufs Wesentliche der meisten Schankhütten oder etwa der schäbige Charme einer Bierbar mit dem wunderbaren Namen TAIVASSALON BAARI (taivassalo wörtlich „Himmel-Wald-Einöde").

Im Ganzen ergibt sich – entgegen der Verlagsankündigung – das Bild einer ganz und gar nicht „fremden Welt". Was Numminen in den Bars erlebt, könnte er in ähnlicher Weise auch in anderen europäischen Pinten, Kaschemmen, Eckstampen erleben. Die lakonische Inbrunst jedoch, mit der Numminen seine Hommage auf die Dreierbierbars anstimmt, macht sein Werk zu einem hell funkelnden Stern am Himmel der Kneipen- und Bierliteratur.

Im übrigen räumt das Buch auch auf mit dem weitverbreiteten Klischee, Finnen säßen in Lokalen nur stumm und stoisch saufend herum. Der Kneipenmann dokumentiert durchaus geschwätzige Dialoge, wie auch hochphilosophische Diskurse in Dreierbierbars: „Weißte etwa nich', wo 'es Universum zu Enne is'? – Nein, weiß ich nicht. – Na, bein Em, Mensch, bein Buchstab'n M." Das ist Weisheit, wie man sie in jeder vernünftigen Kneipe zu erfahren wünscht.?

Roland Abbiate

> M. A. Numminen: Der Kneipenmann. Eine Expedition zu den Bier-Bars in Finnland von Helsinki bis Lappland. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2003. 13,50 Euro

 
 
 
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