Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der Diktator als Autor

In Rußland erschien ein Roman von Saddam Hussein

Politische Korrektheit ist in Rußland weitgehend unbekannt. So ist „negr" nach wie vor die gängige Bezeichnung für Menschen afrikanischer Abstammung und das russische Wort für „Schwuchtel" außerhalb der Schicht der Gebildeten und Kultivierten ein geläufiges Schimpfwort. Rassismus und Antisemitismus mögen nicht ausgeprägter sein als in Westeuropa, doch sind entsprechende Äußerungen auch jenseits der Stammtische integrale Bestandteile politischer Stellungnahmen und Diskussionen, Hohmann ist sozusagen überall.

Andererseits verdanken wir der russischen Gleichgültigkeit gegenüber politischer Korrektheit die literarische Neuerscheinung, von der im folgenden die Rede sein soll. Denn es ist schwer vorstellbar, daß ein westeuropäischer oder gar amerikanischer Verlag eine Übersetzung eines Romans veröffentlichen würde, als dessen Autor Saddam Hussein angegeben ist. Vor einigen Wochen hat der St. Petersburger Verlag Amfora genau das unternommen: Sabiba i zar (Sabiba und der König) heißt das Werk im Taschenbuchformat, das 250 in einer großen Schrifttype bedruckte Seiten umfaßt und umgerechnet etwa fünf Euro kostet, für russische Verhältnisse nicht wenig.

Im selben Verlag erschienen in letzter Zeit durchaus seriöse literarische Werke. Ihre Aufmachung ähnelt der von Sabiba und der König: Die Buchdeckel sind knallbunt und jeweils mit einer überdimensionalen plakativen, fast kitschig anmutenden Illustration versehen. Der Klappentext des Hussein-Romans wartet mit der Feststellung auf, das Schicksal Saddams sei schon ein Mythos. Er habe den Siegern keine Chance gegeben, als er selbst in diesem Roman seinen Tod voraussagte: „Und dort sagte er noch: "Helden haben immer viele Feinde. Derjenige, der sich aus der Masse hervorhebt, ruft immer Neid hervor.'" Jetzt haben sie ihn – falls es kein Doppelgänger war – doch lebendig gekriegt, der Mythos ist verblaßt.

Das Buch beginnt mit einer Einleitung: 2000 habe Saddam Hussein die Schriftsteller des Irak aufgefordert, Romane zu schreiben, die alle Aspekte des menschlichen Lebens umfassen. Hadschi Gujura habe das verinnerlicht und den vorliegenden Roman verfaßt. Darauf folgt die editorische Fußnote, der Verlag habe es für unentbehrlich gehalten, den Roman unter dem wirklichen Autornamen – also Saddam Hussein – zu publizieren. Woher er den kennt, erfahren die Leserinnen und Leser nicht.

Der eigentliche Romantext beginnt mit einer blumigen Hymne auf den Irak als uraltes Kulturland, verbunden mit einem Ausfall gegen den Zionismus und dessen Bündnis mit den Amerikanern, das die arabische Nation schwäche. Danach wird eine lebenserfahrene Großmutter als Erzählerin eingeführt, wobei aber betont wird, daß es im Irak nicht üblich sei, Lügengeschichten zu erzählen. Der Wert solcher Erzählungen, die die guten und weisen Traditionen der Vorfahren weitergeben, sei ­ so heißt es im Text zivilisationskri-tisch ­ um ein Vielfaches höher als der des Fernsehens, das an ihre Stelle getreten ist.

Die Großmutter erzählt Kindern und Erwachsenen von einem mächtigen König, der vor langer Zeit im Irak lebte und sich in eine Frau aus dem Volk namens Sabiba verliebte. Diese außerordentlich verständige, couragierte, zugleich tief gläubige Frau überzeugt den König in langen Gesprächen und Diskussionen während ihrer Besuche Schritt für Schritt davon, daß er sich dem Volk öffnen, auf es hören, für es regieren und sich vor ihm legitimieren müsse, anstatt sich in seinem Palast mit seinen Hofschranzen und seinem Gesinde abzuschotten und Äußerlichkeiten zu huldigen. Die Liebe beider zueinander wächst, Sabiba will zugunsten des Königs ihren Mann verlassen, der sie nur als Sexobjekt benutzt, will aber nicht Königin werden, um weiterhin glaubhaft als Verbindung zwischen König und Volk fungieren zu können.

Gegen den König läuft derweil eine Verschwörung mehrerer Adliger, gipfelnd in einem offenen Aufstand, dem Sabiba als eine Art irakischer Jeanne d'Arc an der Spitze eines Volksheers entgegentritt. Dieses Heer siegt, Sabiba aber fällt und wird zur Heldin. Nach diesem Sieg nimmt das Volk seine Geschicke selbst in die Hand. Die Diskussion verläuft kontrovers, die Mehrheit wendet sich aber gegen die Königsmacht und das falsche und verdorbene Adelsleben, das einige Binnenerzählungen anschaulich machen. Am Ende des Romans stirbt der König und wird vom Volk in würdiger Weise bestattet. Die Schlußsätze lassen nicht nur Sabiba und das Volk, sondern, ganz zuletzt, auch die Armee hochleben.

Aufgrund seiner literarischen Qualität wäre der Roman sicher nicht übersetzt worden. Dem Inhalt kann man jedoch einiges abgewinnen, denn er schließt an die europäische Aufklärung an: Entworfen wird – zuerst theoretisch von der Protagonistin, dann praktisch in der Volksversammlung – eine politisch-soziale Utopie, im Namen der Freiheit, gegen die bestehende, lediglich durch Erbfolge legitimierte Macht. Juden allerdings haben keinen Platz in diesem Gemeinwesen: Die antisemitische Karikatur eines „Geldjuden" wird aus der Volksversammlung verjagt. In ihren staatstheoretischen Erörterungen zeichnet Sabiba das Leitbild eines volksnahen Herrschers und einer Gesellschaft, in der Klassenunterschiede keine Bedeutung haben. Für orientalische Verhältnisse höchst bemerkenswert ist die emanzipierte Rolle der Frau, die die Protagonistin verkörpert und einfordert. Es finden sich auch tiefsinnige Erörterungen über die Liebe. Die Erzählung als Ganzes zeigt sich tief verwurzelt in nicht nur arabischen geistigen Überlieferungen und durchdrungen von einer Jahrtausende alten Kultur, der – und diese Anmerkung muß erlaubt sein, ohne sofort des „Antiamerikanismus'" geziehen zu werden – die US-amerikanischen Eroberer und Besatzer des Irak nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen haben und die sie offensichtlich auch gar nicht interessiert.

Gesetzt, daß Sabiba und der König wirklich von Saddam Hussein verfaßt wurde: Was der Klappentext als Möglichkeit aufwirft, nämlich, daß die Taten dessen, den man vor allem als brutalen Politiker wahrzunehmen gewohnt ist, nach der Lektüre leichter verständlich wären, kann sicher verneint werden. Vielmehr hätte man – wieder einmal – ein Beispiel dafür, daß Brutalität und Kultiviertheit in einer Person vereint sein können.

Thomas Keith

 
 
 
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