Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

KZ und Kürbisfest

Ein Dokumentarfilm über Dachaus hoffnungsloses Bemühen um Normalität

„Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer", erklärte ein Lied den ostdeutschen Schulkindern. Und sprach dann weiter von Dingen, die ebenfalls Heimat sind: Bäume, Fische im Fluß usw. Heimat kann alles mögliche sein, auch das je andere. Eine ähnlich weit gefaßte Definition von Heimat lag einer Dokumentarfilmreihe im Kino Hackesche Höfe zugrunde, die mit einem „Heimatfilm-Wochenende" begann.

Auf dem Programm standen zum einen drei eigentlich für das Fernsehen produzierte Dokumentationen: Frankfurter Tor von Volker Koepp über den riesigen LKW-Parkplatz vor dem Grenzübergang nach Polen, Hinter den Bergen von Heinz Brinkmann und Heiner Sylvester über das im vormaligen Sperrgebiet gelegene Heinersdorf ganz nah der Grenze zwischen Thüringen und Franken und Quartier der Illusionen von Helke Misselwitz über ihren Kiez rund um die Berliner Albrechtstraße. Auftraggeber für diese Produktionen war der RBB, der sie noch im Laufe des Jahres ausstrahlen wird. Am Heimatfilm-Wochenende startete auch der auf der letzten Berlinale vielbeachtete Film Grüße aus Dachau, der in den nächsten Wochen noch in den Hackeschen Höfen zu sehen ist.


Foto: Steffen Schuhmann

Der gebürtige Dachauer Bernd Fischer zeigt mit Grüße aus Dachau einen „echten" Heimatfilm. Der Regisseur ist in diesem nicht unbekannten Städtchen aufgewachsen und macht nun eine Reise zurück in die Stadt, in der nur wenige Geburten zu verzeichnen sind, da nach wie vor kaum jemand seinen Kindern Dachau als Geburtsort zumuten möchte. Und welche deutsche Kleinstadt bekommt schon eine Meldung in der New York Times, wenn bei den Kommunalwahlen Unregelmäßigkeiten auftreten? „Please, show me the way to the Concentration Camp", war einer der ersten englischen Sätze, die der Filmautor zu hören bekam, und im Herbst gab es immer Jungendaustausch mit Israel. Also keine ganz gewöhnliche Schulzeit. Und keineswegs ein gewöhnlicher Ort, auch wenn das einige Politiker im Ort gerne hätten.

Andere Einwohner beschränken sich auf Ignoranz, wie sonst könnte man in aller Ruhe neben der KZ-Mauer im Schrebergärtchen grillen? Seltsam mutet es auch an, wenn der Bürgermeister sich allen Ernstes darum bemüht, daß die Lufthansa einen Airbus mit dem Stadtnamen bedenkt. Die Fluggesellschaft wird kaum auf diesen Vorschlag eingehen, denn die Maschine könnte ja mal nach Israel fliegen.

Fischer läßt die Einwohner unkommentiert gegeneinander sprechen. Sie alle sind zu offensichtlich um Normalität bemüht, als daß ihnen diese gelingen könnte. Am wenigsten der Stadtführerin, die frisch-fröhlich im Dirndl die Altstadt preist und das alljährliche Kürbisfest ­ und auch die KZ-Gedenkstätte; schließlich sei all das typisch für Dachau. Der einzige „normale" Mensch in diesem Reigen scheint der KZ-Überlebende Max Mannheimer zu sein, der täglich in einem alten, futuristischen Tatra von München nach Dachau fährt und den Besuchern als Zeitzeuge die Gedenkstätte zeigt. Und die Nonne aus dem Kloster, das neben dem Gelände steht, versucht, mit Fotos der alljährlich zu Besuch kommenden Überlebenden die Zeit einzufrieren, den Menschen „Würde zu geben".

Noch nach fast 50 Jahren ist wenig Normalität in den Ort eingekehrt, auch wenn der Abgeordnete der Republikaner hofft, daß sich das „Problem" mit der Zeit, von selbst erledigen wird. Daß es so nicht kommen wird, macht der Film deutlich. Trotzdem wirft der Regisseur einen sowohl kritischen, als auch liebevollen Blick auf seinen Heimatort. Der gelingt aber nur aus der Distanz, denn Fischer wohnt in Berlin.

Ingrid Beerbaum

> „Grüße aus Dachau" von Bernd Fischer läuft zur Zeit in den Hackeschen Höfen

 
 
 
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