Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Dominanzverhältnisse

Marieluise Fleißer zum 30. Todestag

„Sich verloben war verheerend für eine Frau, wenn sie schreibt. Aber wie kam eine da herum und wie kam sie sonst an ein Leben mit Senkblei heran? Sie mußte eben hoffen, daß sie es überstand. Ja, das mußte sie hoffen." So beendet die 1901 in Ingolstadt geborene Marieluise Fleißer ihre Erzählung Avantgarde, die 1963 erschien. Es war ihre erste Veröffentlichung in der BRD, nachdem sie in den zwanziger Jahren mit Novellen, Dramen und einem Roman bekannt geworden war und im Nationalsozialismus Schreibverbot erhalten hatte. Fleißer erzählt darin von einer jungen Schriftstellerin, die an einen erfolgreichen „Dichter", ein „Genie", gerät, der sie in eine Schreibkrise stürzt – „der Mann war eine Potenz und brach sie sofort" – und gleichzeitig ausnutzt: „In seine Entdeckungen war er immer ein wenig verrannt, bald mußte er sie ausschlachten und lieber sofort." Durchgängig thematisiert Fleißer, welche katastrophalen Auswirkungen die patriarchalen Dominanzverhältnisse auf das weibliche Schreiben haben können. Parallelen zu Fleißers eigenen Erfahrungen liegen auf der Hand, wenn man bedenkt, daß sie ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis zu Brecht gehabt hat, das 1929 in einem großen Theaterskandal kulminiert. Brecht hatte in Berlin ihr Stück Die Pioniere in Ingolstadt ohne ihr Wissen so provokant inszeniert, daß es zu einem Eklat kam, dessen Auswirkungen bis nach Ingolstadt reichten. Ihr Vater erteilte ihr Hausverbot, sie wurde öffentlich als „Nestbeschmutzerin" verurteilt.

Daraufhin kam es zum Bruch mit Brecht. Die nächsten Jahre waren krisenhaft, auch wenn 1931 ihr Roman Mehlreisende Frieda Geier erschien. Sie kehrte nach Ingolstadt zurück und heiratete einen Jugendfreund. Gegen die getroffenen Abmachungen mußte sie in seinem Tabakladen mitarbeiten und hatte bis 1958, als er starb, weder Zeit noch Kraft zum Schreiben. Danach konnte sie an ihre großen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Wenige Jahre vor ihrem Tod wurde sie nochmals etwas bekannter, als junge Dramatiker wie Kroetz oder Faßbinder sich für ihre Stücke zu interessieren begannen.

Vor dreißig Jahren, am 1. Februar 1974, ist Marieluise Fleißer in Ingolstadt gestorben.

Carola Köhler

 
 
 
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