Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kurzkultur

kunstform

Man findet sie nicht nur auf Stoffen und Tapeten, die gesamte sichtbare Umgebung, und unsere Wahrnehmung von ihr ist von Mustern geprägt. Adorno verglich einmal eine gewisse harmlose, abstrakte Moderne mit Tapetenmustern, aber das ist ein anderes Thema. In der Galerie Nord in Moabit setzen sich jetzt 27 Künstler mit „Bedeutung und Funktion von Mustern in der Gegenwart" auseinander, darunter: Diana Brunstein, Andreas Fux, Marcel Steger, Salome Haettenschweiler, Chris Taylor und Vreni Spieser.

> „Musterhaus", noch bis zum 29. Februar in der Galerie Nord, Turmstr. 75, Tiergarten, Di, Mi, Fr und So von 12 bis 17 Uhr, Do 12 bis 18 Uhr

höchstform

In der Weimarer Republik war Franz Schreker mit seinen Opern nicht weniger erfolgreich als Richard Strauss; unter den Nazis wurde dann nur noch letzterer gespielt. Die Schreker-Wiederentdeckung läuft ­ etwas zäh ­ jetzt schon seit dem Ende der Siebziger. An der Staatsoper ist im Februar wieder die musikalisch maßstabsetzende Produktion des Fernen Klangs unter Michael Gielen zu erleben. Da kann man den Rosenkavalier getrost vergessen.

> „Der ferne Klang" von Franz Schreker am 14., 19. und 22. Februar in der Staatsoper Unter den Linden, Mitte

warenform

Party Of One kommen aus Minnesota, dem angeblich kältesten Bundesstaat der USA. Das allein ist schon ein Grund, dieser Band einen warmen Empfang in der kältesten Hauptstadt Deutschlands zu bereiten. Den Rest dürften die Musiker selbst erledigen ­ mit einer unverbraucht mitreißenden Mischung, die sich aus den Zutaten Surf und Punk, Rocky-Horror und Nouvelle Vague zusammensetzt ­ let the sun shine in.

> Party Of One am 24. Februar um 22 Uhr im Bastard, Kastanienallee 7-9, Prenzlauer Berg

sprachform

Auch wenn er sich 1973 schon mal als Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des DAAD dem Westberliner Publikum präsentierte, zählt Andreas Okopenko doch nach wie vor zu den großen Unbekannten der österreichischen Literatur. Friederike Mayröcker sagt über den geschätzten Kollegen: „Die Stille um ihn ist gleichzeitig seine Gloriole." 1957 debütierte der 1930 geborene Okopenko als Lyriker, sein wichtigstes Werk ist wohl der „Lexikonroman" von 1976; in seinem Spätwerk wartet er mit sogenannten Lockergedichten auf. Jetzt ist er nach langer Zeit wieder mal in Berlin zu erleben, liest aus seinen Schriften und unterhält sich mit der in Berlin lebenden Österreicherin Elfriede Czurda.

> Andreas Okopenko liest am 24. Februar um 20 Uhr im Literaturhaus, Fasanenstraße 23, Charlottenburg, Einführung: Elfriede Czurda

buchform

Meine Emigration heißt das schöne, beim Oberbaum Verlag erschienene Buch von Anna Sochrina, einer russischen Jüdin, die in den neunziger Jahren nach Deutschland übersiedelte (scheinschlag veröffentlichte einen Auszug in der Ausgabe 6/03). Sie redet darin selten unprätentiös, mitunter durchaus politisch unkorrekt, umso authentischer von den Problemen der Emigration. Jetzt stellt die Autorin ihr Werk vor.

> Anna Sochrina liest aus ihrem Buch „Meine Emigration" am 16. Februar um 18 Uhr in der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Oranienburger Str. 28/30, Mitte

wunschform

Das Medium Fotografie spielte in der Sowjetunion eine herausragende Rolle. Wer allerdings anderes im Sinn hatte, als Werktätige und Parteiveranstaltungen abzulichten, stieß sehr schnell an die Grenzen der Zensur. Experimentelles ging sowieso nicht, Dokumentaristen durften sich nicht mit Lebensformen von Minderheiten, mit Sexualität, Religion oder Alkoholismus beschäftigen. Die Mechanismen der sowjetischen Fotozensur zur Breschnew-Zeit ­ laut Boris Groys „undurchsichtig" ­ sucht nun eine Ausstellung in der Giedre Bartelt Galerie nachzuzeichnen. Kuratorin Margarita Paskeviciute weiß aus eigener Erfahrung, wie das damals ablief. Sie arbeitete von 1969 an in der Gesellschaft für Fotokunst.

> „Fotografie und Fotozensur (1960-1989)", von 6. Februar bis zum 27. März in der Giedre Bartelt Galerie, Linienstr. 161, Mitte, Di bis Fr 14 bis 18 Uhr, Sa 12 bis 18 Uhr

denkform

Daß US-Amerikaner dazu neigen, Paranoia mit investigativem Journalismus zu verwechseln, ist bereits zum Klischee verkommen. Die Ausstellung World Watchers in der NGBK zeigt historische und zeitgenössische Positionen zur Grenze zwischen Aufklärung und Paranoia. Die Beiträge unter anderem von US-amerikanischen Künstlern und Autoren drehen sich insbesondere um die Frage, ob Verschwörungstheorien die einzig mögliche Antwort auf den Verlust eines gesicherten politischen Koordinatensystems darstellen.

> „World Watchers – Demokratie. Information. Subjekte" noch bis zum 15. Februar in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25, Kreuzberg, täglich von 12 bis 18.30 Uhr

kampfform

Die Wandlungs- und Widerstandsfähigkeit von Pop haben die Goldenen Zitronen intensiv ausgelotet: FunPunk, AgitProp, schwer erträgliches Collagen-Experiment am Abgrund der Dissonanzen. Inzwischen treten die einzelnen Mitglieder auch in anderen kulturellen Kontexten auf: im Theater, auf Konferenzen und in der Stadtteilpolitik. Nun bestreiten sie als Band ein Gastspiel in der Reihe Musik und Politik der Volksbühne. Begleitet werden sie von den Rhythm King And Her Friends. Digitale Beats und Samples bilden die Basis für den Gitarrenschrammel-Sound, vor dem die drei Berlinerinnen per Megaphon feministische Statements und unaufgelöste Widersprüche zwischen Queer Politics und konventionellen Geschlechterzuschreibungen herausposaunen. Parodie und Pose, Parole und Provokation verschwimmen im Pool zwischen Tanzbarem und Electro-Noise.

> Die Goldenen Zitronen am 27. Februar um 21 Uhr im Großen Haus der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte

umgangsform

Wie schnell zivilisatorische Errungenschaften und höflich-distanzierte Umgangsformen sich verabschieden, wenn eine Abendgesellschaft aus rätselhaften Gründen den herrschaftlichen Salon nicht mehr verlassen kann, läßt sich in Der Würgeengel begutachten. Luis Buñuels Film von 1962 ist geradliniger und weniger surrealistisch als seine anderen Meisterwerke, dafür umso wirkungsvoller: Erleichterung überkommt die Zuschauer, wenn sie es nach der Vorstellung schaffen, die Türschwelle des Kinosaals zu überwinden.

> „Der Würgeengel" am 21. Februar um 19.30 Uhr und am 25. Februar um 21 Uhr im Kino Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten

 
 
 
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