Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

100 Rubel sind nichts ­ 100 Freunde sind alles

Die Ehrenamtsbörse des Deutsch-russischen Austausch e.V.

In Berlin lebt eine kleine russische Stadt, seriösen Schätzungen zufolge gibt es etwa 100-130000 russischsprachige Migranten. Sie kommen als Spätaussiedler, jüdische Zuwanderer, Studenten, Geschäftsleute, Ehepartner, Künstler... Sie bilden eine eigene Community mit Zeitungen, Läden, Vereinen und Clubs. Die kulturelle Vielfalt kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß viele von ihnen mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen haben: Isolation, fehlende Sprachkenntnis, kein Job. Der deutsche Arbeitsmarkt erschließt sich ihnen nur zögerlich. Zertifikate russischer Universitäten werden selten anerkannt. Da ist es kein Einzelfall, nach fünfzehnjähriger Tätigkeit als Leiterin von Theatergruppen nach Berlin zu kommen und den Einstieg in die neue Gesellschaft als Zimmermädchen zu finden. Wie aber die mitgebrachten Qualifikationen sinnvoll einsetzen? Das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, stellt sich häufig ein.

Seit vier Jahren hilft die Ehrenamtsbörse des Deutsch-russischen Austausch e.V. (DRA) Migranten, ihre persönlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten mit den Anforderungen und Regeln ihrer neuen Umgebung in Beziehung zu setzen. Der in der Brunnenstraße ansässige Verein agiert seit 1992 von Berlin aus im russischsprachigen Raum und unterstützt den Demokratisierungsprozeß in der ehemaligen Sowjetunion. Die Organisation hatte bereits vier Beratungszentren für Nichtregierungsorganisationen gegründet ­ als fünftes und jüngstes rief sie die Ehrenamtsbörse ins Leben, das erste Projekt außerhalb Rußlands.

Bettina Bofinger ist Projektleiterin der ersten Stunde: „Die Idee der Ehrenamtsbörse ist, daß die ehrenamtliche Aufgabe, also die Einbindung in die Arbeit eines Vereins, integrationsfördernd wirkt. Sie trägt zur Stärkung des Selbstbewußtseins bei, und man lernt, wie die Arbeitsabläufe hier funktionieren. Die Kombination von Ehrenamt und Integration ist neu." Im sowjetischen Rußland war eine derartige Tätigkeit häufig gesellschaftlich wenig und staatlich gar nicht anerkannt; sie läßt manchen an bittere Erfahrungen aus der Vergangenheit denken und steht oft in dem Ruf, nicht satt zu machen: „Ausgenutztsein, Naivität, Dummheit, Weltverbesserer."

Da mußte die Börse erst einmal Überzeugungs- und Informationsarbeit leisten. Ihre Mitarbeiter führen mit Interessierten ein Gespräch, um die Wünsche und Perspektiven auszuloten, häufig auch, um allzu hochgesteckte Erwartungen zu dämpfen. Für die meisten russischsprachigen Migranten kommt diese Tätigkeit erst in Frage, wenn die Sprachkenntnisse ein gewisses Niveau erreicht haben und sie ihr soziales Umfeld erweitern wollen.

Bedarf bestand vor allem an dauerhaften Tätigkeiten. So suchte Boris Moissejev als Jurist eine sinnvolle Aufgabe und fand sie bei der „Freien Hilfe Berlin e.V.", für die er russische Strafgefangene betreut. Der Verein vermittelte auch Ehrenamtliche für Nachhilfeunterricht für Kinder oder an die KZ-Gedenkstätte in Oranienburg, für die die Aufzeichnungen einer russischen Ärztekommission von 1945 über die Krankenbaracke des KZ übersetzt wurden. Kein Praktikum zum Hineinschnuppern, sondern eine kontinuierliche Aufgabe mit Verantwortung. Kein Ersatz für hauptberufliche Tätigkeit, aber vielleicht ein Schritt auf dem Weg dorthin.

Dennoch besteht in Zeiten der Sparwut die Gefahr, daß das Ehrenamt zur billigeren Konkurrenz zu ABM-Maßnahmen verkommt. „Da ist Verantwortungsbewußtsein bei allen Beteiligten gefordert", meint Bofinger. Die Aufgabe sollte klar umrissen sein und etwas möglich machen, was im normalen Arbeitsablauf der Vereine nicht stattfinde. Im Fall der „Freie Hilfe Berlin e.V." helfen die Hauptamtlichen dem jeweiligen Strafgefangenen bei seinen konkreten Problemen, Zeit für längere Gespräche fehlt häufig. Hier kommen die Ehrenamtlichen zum Einsatz.

Zum Angebot der Börse gehören eigentlich auch Seminare über Projektentwicklung und -management. Dazu fehlt derzeit das Geld, da sich nach der dreijährigen Anschubfinanzierung durch das Bundesinnenministerium kein geeigneter Kooperationspartner fand. „Wir vermitteln im Moment selbst ehrenamtlich weiter und sind zuversichtlich, daß wir eine finanzielle Förderung für die Fortbildungen erhalten werden. Die Börse weiterzuführen, ist sehr sinnvoll, allein schon wegen der vielen Kontakte, die dadurch entstanden sind", sagt Bofinger. Freunde sind alles.

Katja Brinkmann

> Deutsch-Russischer Austausch e.V., Brunnenstr. 181, Mitte, fon 44 66 80 23, dra@austausch.com

 
 
 
Ausgabe 01 - 2004 © scheinschlag 2004