Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Autobahnpläne als Gesellschaftsentwürfe

Eine Kulturgeschichte der Autobahnen in der DDR

Zu den Errungenschaften des Sozialismus, derer die DDR sich rühmte, gehörten ihre Autobahnen wohl am wenigsten. In einer Volkswirtschaft, in der der Kauf eines Autos den Kauf eines Luxusartikels bedeutete, erscheint es eigentlich nur folgerichtig, daß auch die Straßen, auf denen die Gefährte bewegt werden konnten, häufig nur in mangelhaftem Zustand waren.

Während in der BRD sich der wirtschaftliche Aufschwung an der Zahl der neugebauten Autobahnstrecken ablesen ließ, basierte das Autobahnnetz der DDR im wesentlichen auf den während des Nationalsozialismus gebauten Strecken. Nicht zuletzt dafür war man Hitler dankbar, denn ohne ihn – so die verbreitete Ansicht – hätte es in der DDR überhaupt keine Autobahnen gegeben.

Das ist natürlich weder ganz falsch, noch ganz richtig, aber insgesamt doch zu schwarz-weiß. Das Gegenteil, daß nämlich das Thema „Die DDR und ihre Autobahnen" wesentlich mehr Facetten hat als geplante, aber nicht gebaute Straßen oder mit schlechtem Beton schlecht ausgebesserte, zeigt eine umfangreiche Publikation von Axel Doßmann, die auf einer Dissertation basiert und unter dem Titel Begrenzte Mobilität. Eine Kulturgeschichte der Autobahnen in der DDR im Klartext Verlag veröffentlicht wurde. Doßmann versteht seine Arbeit als Beitrag zu einer „politischen Kulturgeschichte", deren Ansatz sowohl innen- als auch außenpolitische, ökonomische, technische und kulturelle Aspekte miteinander verschränkt.

Abb.: Atlas für Motortouristik der DDR 1977

Doßmanns Studie setzt dabei nicht erst mit der Gründung der DDR 1949 ein, sondern behandelt auch die Vorgeschichte, von ersten Planungen in der Weimarer Republik bis zum Reichsautobahnbau während des Nationalsozialismus. Die „Legende vom Autobahnerfinder Hitler" wurde demnach von Fritz Todt, einem mit Sondervollmachten ausgestatteten Bauingenieur, zu Propagandazwecken in die Welt gesetzt. Anhand von Biografien zeigt der Autor personelle Kontinuitäten auf, die die politischen Zäsuren unbeschadet überstanden haben. So sind 1945 in der SBZ dieselben Ingenieure mit der Wiederherstellung der zerstörten Autobahnen betraut worden, die schon beim Bau der Reichsautobahnen mitgearbeitet hatten.

In der DDR selbst wurde der Neubau von Autobahnstrecken zwar geplant ­ es gab gegen Ende der sechziger Jahre sogar die „Vision eines engmaschigen Autobahnnetzes" ­, die Umsetzung jedoch in der Regel durch politische Entscheidungen verzögert oder verhindert. Und, so ist nach der Lektüre zu mutmaßen, der Zustand der Autobahnen in der DDR wäre noch maroder gewesen, hätte es nicht die Straßennutzungsge-bühren für die Autobahnen als Transitstrecken zwischen Westberlin und der BRD gegeben. Zu Recht konstatiert Doßmann, daß die Geschichte der DDR-Autobahnen durch die „Systemkonkurrenz und die deutsch-deutsche Dialektik" „ihre spezifische Dynamik" erhielt.

Der Autor stützt seine Darstellung auf eine beeindruckende Materialfülle, darunter umfangreiche Archivunterlagen, um auf anschauliche Weise bisher wenig oder gar nicht bekannte Aspekte eines eigentlich eher drögen Stücks Alltagsgeschichte dieses insgesamt betongrauen Staates DDR zu erzählen, denn nicht zuletzt „in Autobahnplänen lassen sich ganze Gesellschaftsentwürfe entziffern".

Carola Köhler

> Axel Doßmann: Begrenzte Mobilität. Eine Kulturgeschichte der Autobahnen in der DDR. Klartext Verlag, Essen 2003. 27,90 Euro

 
 
 
Ausgabe 01 - 2004 © scheinschlag 2004