Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Zurück zu den alten Regeln

Lokale Agenda 21 (III): Kooperation und Konfrontation

Das Agendaforum war geschockt: Als Staatssekretärin Maria Krautzberger von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am 9. Dezember zum Entwurf der Lokalen Agenda 21 (LA21) Stellung nahm, ging ein Raunen durch den Saal. Kurz zuvor hatte man die umwelt-, bildungs- und sozialpolitische Wunschliste, die eigentlich schon im Frühjahr vom Abgeordnetenhaus abgesegnet und zur Grundlage einer „nachhaltigen Stadtentwicklung" Berlins werden sollte, verabschiedet und Krautzbergers Behörde vorgelegt. Und nun wurden die versammelten Umweltspezialisten, Sozialarbeiter und Freizeitpolitiker, die bis zu zehn Jahre ehrenamtlicher Vorarbeit hinter sich haben, wie unartige Kinder abgekanzelt. Krautzbergers Resümee: „Ich bin enttäuscht". Einige der Ideen der LA21 seien „durchaus ganz interessant", die meisten aber unfinanzierbar und einige gar „sektiererisch". Das Fachforum Verkehr z.B. hatte es gewagt, Tarifsenkungen im öffentlichen Nahverkehr zu fordern, gegen Flughafenplanungen zu argumentieren und unverdrossen auf EU-Grenzwerte zu pochen, mit denen die jetzige Verkehrsplanung des Senats nun einmal nicht vereinbar ist. Das Fachforum Klimaschutz hatte sogar eine LKW-Maut im Innenstadtbereich vorgeschlagen.

Bevor der Agenda-Entwurf dem Parlament zugemutet wird, sollen ihn die Fachforen nun erneut überarbeiten. Aussagen dazu, was davon wann umgesetzt wird, gibt es nicht. Und auch finanziell zieht sich der Senat zurück: Die organisatorische Infrastruktur, also jene Stellen, mit denen die zahlreichen Projekte und Gesprächskreise koordiniert wurden, wird erheblich gekürzt. Man solle sich mit Lottomitteln begnügen und ansonsten um privates Sponsoring kümmern. Am liebsten würde der Senat nur noch eine Auswahl einzelner Vorhaben fördern, sogenannte „Leitprojekte", bei denen, so Krautzberger, „etwas sichtbar wird".

Die Enttäuschung ist wechselseitig. In einem Offenen Brief einiger Fachforen ist von „Mißachtung" und „Geringschätzung" durch den Senat die Rede, der „die laufende Kooperation zwischen engagierter Bürgergesellschaft und Verwaltung", die „das wirklich Neue am Politikstil von Agendaprozessen" sei, offenbar „immer noch nicht verstanden" habe.

Unklar bleibt, worauf man eigentlich gehofft hatte. Meinten die LA21-Aktivisten wirklich, der Senat ließe sich von ein paar Gremien, die große Worte und nette Ideen produzieren, einen neuen Politikstil aufdrängen? Und umgekehrt: Hatte der Senat geglaubt, die locker vernetzten Initiativen, die zu einem Großteil aus der linksalternativen Protestkultur der Siebziger stammen, würden reine Realpolitik hervorbringen? Nachhaltig, urban, bezahlbar? Dazu, möchte man meinen, braucht man keine Bürgerbeteiligung.

Norbert Rheinlaender vom Fachforum Verkehr kann dem Eklat auch etwas Positives abgewinnen: „Vielleicht kommen wir so aus dieser Bevormundung heraus." Er und einige andere Aktivisten erwägen, einen Verein zu gründen und die verbliebenen Gelder gemeinsam zu verwalten – ohne staatlich finanzierte Stellen, dafür aber mit mehr politischer Arbeit, „auch im Dissens". Nachdem die LA21 jahrelang eine paradiesische Harmonie herbeizureden versuchte, könnte sie nun zu den alten Regeln der Politik zurückfinden: Eine Regierung verwaltet, von finanziellen Zwängen eingeengt und ständig von naturgemäß egoistischen Interessengruppen erpreßt, den Status Quo. Und die Bürgerinitiativen machen Druck, daß auch ihre Interessen zum Zuge kommen. Wer dabei alle Konflikte vermeiden will, muß schon die Seiten wechseln.

Johannes Touché

 
 
 
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