Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Nicht nur Nostalgie

Ein Resümee zur Stadtentwicklung in Kreuzberg 61

Ich bin ein Ureinwohner / Am Cha-Cha-missoplatz (...) Mein Haus läßt man verfallen / damit ich die Kurve kratz' / Dann darf ich in drei Jahren / mit der doofen Stadtrundfahrt / in meine Wohnung glotzen / Die kostet 1000 Mark.

(Die 3 Tornados (1979), aus dem Film „Preßlufthammer über Kreuzberg")

25 Jahre Sanierung haben dem Gebiet am Chamissoplatz in Kreuzberg 61 sichtbar gut getan. Wir laufen vom Platz der Luftbrücke durch die Fidicinstraße mit ihren prächtigen Stuckfassaden und gußeisernen Balkongittern. Käme uns eine Pferdekutsche entgegen, wir wunderten uns nicht.

Mit dem formellen Ende des Sanierungsgebietes Chamissoplatz hat der Senat im September 2003 die Sanierung in Kreuzberg offiziell abgeschlossen. Damit zieht er einen Schlußstrich unter das Mammutprojekt, das die Stadt in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschäftigte. Die Dimensionen sind gewaltig: Allein um den Chamissoplatz flossen 230 Mio. Euro an öffentlichen Mitteln. Damit wurden über 3200 Wohnungen instandgesetzt und modernisiert. Was natürlich einen erheblichen Einfluß auf die sozialen Strukturen hatte: Heute leben im Gebiet vor allem Menschen mit mittlerem Einkommen und viele jüngere Familien, der Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern liegt unter dem Berliner Schnitt. Das dürfte sich nun noch verschärfen. Nach dem Ende der staatlichen Förderungen werden die Entwicklungen in Gebieten wie diesem viel stärker von privaten Initiativen, aber auch von privaten Geldern abhängen. Viele Bewohner könnten nun eine drastische Mieterhöhung oder die Veräußerung der Wohnungen als Eigentum zu befürchten haben.

Zum Abschluß der Sanierung hat die Gesoplan, die in den letzten Jahren die Mieterberatung am Chamissoplatz durchführte, nun eine Ausstellung eröffnet. Anhand von 20 Schautafeln und alten Berliner Abendschau-Mitschnitten wird die Geschichte des Stadtteils, speziell zwischen 1964 und 2004, dargestellt. Im Schnelldurchlauf geht es durch alle Kapitel der Berliner Sanierungsgeschichte, vom Kahlschlag über die Hausbe-setzungen bis zur „behutsamen Stadterneuerung". Schließlich werden mit der Milieustudie von 2004 die sozialen Veränderungen durch die Sanierung beleuchtet und ein kleiner Ausblick auf die Zukunft des Gebiets gewagt. Dazu gibt es einige der Schwarzweißfotos von Wolfgang Krolow zu sehen, der als eine Art Familienfotograf den Alltag und die Veränderungen speziell in den siebziger und achtziger Jahren festgehalten hat.

Drei weitere Ausstellungen wurden in den Kneipen um den Chamissoplatz, zum Beispiel im legendären Heidelberger Krug, von Anwohnern aus dem Umfeld der Mieterräte zusammengestellt. Hier werden ergänzend persönliche Schwerpunkte gezeigt: Hausbesetzungen, Geschichte des Bezirks und „der Chamissoplatz als Filmkulisse". Die Ausstellungen bestehen zum Großteil aus persönlichen Erinnerungsstücken, Fotos oder Zeitungsartikeln und zeigen vor allem die tiefe Verbundenheit der Bewohner mit Geschichte und Bezirk. Wenn die Ausstellung in der Galerie um acht Uhr schließt, läßt sich also bestens eine kleine Kneipentour anschließen, und wer Lust hat, findet überall Gesprächspartner, die noch persönliche Anmerkungen beizutragen haben.

Florian Heilmeyer

> Die Ausstellung „25 Jahre Sanierung am Chamissoplatz – Rückblick und Bilanz" ist bis zum 27. Februar am Chamissoplatz 2, Kreuzberg, zu sehen Di bis So 12 bis 20 Uhr. Informationen unter www.25-jahre-skc.de

> Unter dem Titel „Das Ende der Kreuzberger Sanierung? Rückblick und Ausblick" findet am 12. Februar im BVV-Saal des Rathauses Kreuzberg, Yorckstraße 4-11, eine Podiumsdiskussion zum Ende der staatlichen Sanierungsförderung statt. Mit dabei: Peter Strieder, Frank Schulz und Werner Orlowski

 
 
 
Ausgabe 01 - 2004 © scheinschlag 2004