Ausgabe 01 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Ein Stadtplan aus der Sicht der Polizei

Bislang sprach die Polizei von „gefährlichen Orten", wenn sie Plätze mit hoher Kriminalität definierte. Nun hat sie einen „Problemkiez-Atlas" vorgelegt, der ganze Stadtviertel zu Sonderzonen erklärt. Neun Zonen ermittelte sie – alle im Westteil Berlins. Was halbwissenschaftlich aussieht, ist noch weniger als das. Man habe die Polizeidirektionen gebeten, die aus ihrer Sicht problematischen Kieze zu nennen, so der Polizeipräsident. In diesen Gebieten zählten die Beamten ein Jahr lang „kiezbezogene" Straftaten. Anschließend kam man zu einer formlosen Auswertung, in die auch andere „soziale Indikatoren" einflossen – dabei ging es fast nur um den Ausländeranteil. Irgendwo taucht auch ein deutsches „Trinkermilieu" auf, worauf der nun viel kritisierte Polizeipräsident gern hinweist.

Die Berliner Zeitung widmete dem Thema eine Artikelserie: „Problemkieze" und kritisierte zu Recht die Methoden der Erhebung. Warum sind Raub oder Drogenhandel relevante Straftaten, Steuerhinterziehung aber nicht? Käme man nicht mit anderen Kriterien zu einer ganz anderen Karte krimineller Gebiete? Was die Berliner nicht anzweifelt, sondern durch ihr Argumentieren eher unterstützt, ist jedoch das Ausrufen dieser Problemgebiete selbst.

Welchen Sinn hat dieses Ausweisen von Problemgebieten? Berlin ist keine segregierte Stadt wie Los Angeles. Hier geht es um allgemeine gesellschaftliche Probleme, die sich weit verstreut räumlich niederschlagen. Es geht um Migrantenströme, die u.a. eine Ökonomie hervorruft, die Brachen hinterläßt, und um Menschen, die in Gegenden ankommen, in denen man nicht auf sie vorbereitet ist. Es geht auch um erodierende Sozialgefüge, Armut und Verunsicherung. Diese Schwierigkeiten als Gebietsprobleme zu fassen heißt, sie zu räumlich begrenzten Kontrollproblemen zu erklären. Zu Schmuddelecken, in denen etwas in Unordnung geraten ist, das man aufräumen könnte – und müßte. Als wesentlicher „Problemindikator" diente der Polizei ihre eigene Akzeptanz vor Ort.

Diese Kritik fehlt in der Debatte. Die Presseschelte hat dazu geführt, daß die Polizei nun einen neuen, methodisch verbesserten Problemkiez-Atlas erstellen wird. Der dann nicht mehr nur Ausländer-in-Neukölln problematisiert, sondern gerechterweise auch Rechtsradikale-in-Marzahn.

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