Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Das Knietief im Dispo-T-Shirt und andere Texturen

Fehlfarben und Spillsbury im Big Eden

Foto: Joerg Gruneberg

Foto: Jörg Gruneberg

Das ist die Halle, unser Paradies. Original-Türsteher, und Steiltreppe hinab geht's in die von Rolf Eden erträumte Saturday-Night-Hölle. Johnny Cash tot, Warren Zevon kurz zuvor gestorben. Novemberanfang im geräumigen Szenetreff am Kurfürstendamm. Wie gerupfte und ausgestopfte Popmythentierchen, die Kurfürsten der Finsternis, etliche Stammgäste und Generation-XY-ungelöst-Typen im Big Eden. Laß die Mythen, mir gefallen einfach gute Songs.

Es geht um Pop-Musik. Also auch um Zitate, Zitate von Zitaten usw. Das Zeichensystem von Pop (Image, Kleidung, Statements, Plattencover, Video), einschließlich der Musik, verfügt ­ laut D. Diederichsen ­ über einen „Reichtum an konzeptuellen Problemen und Lösungen, den man in anderen Künsten nicht kennt." Das geht bis zum Ersatz für nicht stattfindende politische Organisation ­ siehe Rap in den USA.

Public Enemy aus Long Island im Atlantik sind dann auch eine ganz andere Bezugsgröße als die Band des Abends, Fehlfarben aus Düsseldorf am Rhein. Gegründet von Mitgliedern der Bands Mittagspause, S.Y.P.H. und DAF, erreichte ihr 1980er-Album Monarchie und Alltag kürzlich die Verkaufszahl von 250.000 Stück. So etwas könnte man einen verzögerten Hit nennen, weil der Höhenflug zum Gutteil von Sänger Peter Hein torpediert worden ist – just in dem Moment, da es ruckend und zuckend voran ging, stieg er aus. Er hatte wohl für sich bemerkt, daß man naiv erscheint, wenn man meint, locker Coolness/Subversivität mit maximaler Mainstream-Tauglichkeit paaren zu können, ohne schwer in Not zu geraten.

Wenigen gelingt dies ­ wie David Bowie, der sich abgebrühten Narzißmus als Selbstschutz impft. Oder sie ernähren sich ideologisch gesund, wie etwa Robert Wyatt. Er wärmte zum Geldverdienen einige erprobt progressive Hits auf (Neil Diamonds „I'm a Believer" z.B.), bewahrte aber seinen höchst eigenwilligen Stil.

Wo es vorn schon nach Mode riecht, sollten angehende Popstars Antikörper horten. Total-Abstürze an die Spitze der Charts sind bei Bowie Bestandteil des Programms. Dagegen trudelt die sympathische Band Wir sind Helden ­ im Namen das Bowie-Zitat der Christiane- F.-Phase ­ immunologisch gesehen eher wie die Band Geier Sturzflug zur Bruttosozialprodukt-Zeit durch den tükkischen Pop-Kosmos: kritisches Bewußtsein im Landeanflug auf's Ramsch-Regal. Aus dem Heer der Bowie-Kinder vom Bahnhof Zoo sind auch Mia („Niemand gibt uns eine Chance") in die Pop-Bärendienst-Falle gelatscht. Schwarz, Rot ­ und was noch? Heroin, schlage ich vor. Fehlfarben sind der Welle haarscharf entkommen, sind danach, wie Blumfeld-Junior, Dinosaurier der Deutsch-Popgeschichte geworden.

Was war da noch – mit Rock? Kann Rock denn noch Avantgarde sein? Nicht zu glauben, aber heute abend fühlt sich das ein wenig so an. Vielleicht ist das Geheimnis, gelassen mit Bezügen umzugehen. Von da an geht's dann leichter. In der Halle, im Club, mit unserer Sicht auf unsere Verschwendung. Wer spielt? Der Support. Egotronic-T-Shirt, ja – achso – Spillsbury, klar – ähm, keine Ahnung. L'Age d'Or, HH, soo, ja. Energiedrink-Hop. Blitzkrieg-Bass-gleich-Gitarre. G.B.H.-Riffs zum Stakkato-Sequenzergewitter. Das ist einnehmend – leise Gedanken im Chor herausgeschrien: „Nimm jetzt bitte meine Hand und sprich mir nach: ich bleibe hier, auch wenn's vielleicht ein Fehler ist, ich will kein Kaffee, nur noch Bier." Körper zuckt. Sängerin wälzt sich ohne Not auf dem Boden. Macht nichts. Brüll mir lauter ins Ooohrrr. Herz und Seele sollen brennen. Die Nachlässigkeit der Posen zündet. Der Abend funktioniert ohne Joy-Division-T-Shirt. Anwesend ist einzig ein Surrogat-Träger. Helle Hölle. Das Bundeswehrkreuz in zeitgemäßem Orange. Auch der Fehlfarben-Sound ist völlig neu renoviert, dabei extrem geradeaus, und erinnert in seiner treibenden Emphase an The Damned, wie an laute Momente in Blumfeld-Konzerten. Nur, daß keine Träne mehr irgendwo zwischenpaßt. Fernab von Ska experimentiert die Band – mit zwei Gitarren, zwei Keyboards immer auf der Suche nach maximaler Fülle – mit Klängen von Monstermagnet, Crazy Horse oder Peter Tosh.

Peter Hein bängt nach hinten, zur Seite, nach oben. Er ist, wider meine Erwartung, der King, der Rotten. Er mixt alles im Schrei: Neuer Song, Altes Lied ­ das tut nichts zur Sache. Der Reim kommt ­ aber nie zu dumm. „Dir geht's gut, Du bist gesund. Alle reden Dir nach dem Mund. Dann kommst Du plötzlich auf den Hund." Entwaffnend und nie zu nett, Hein als Randy-Newman-Riff-Raff, der John Lennon über die Hindernisbahn treibt. Ertüchtigung braucht die zerstreute Tiefbau-Bewegung. Darin sich ein Patrick Wagner konsequenterweise als Maulwurf-Superstar sieht. Und Peter Hein trägt ganz natürlich Elvis' Glitzerhemd hier oben im Eden-Keller auf.

Fehlfarben-Abende enden ohne Ballade. Es störten der weiße Bühnennebel und die Discokugel ­ schalt das mal ab. Und die Jugendlichen sind wohl nach dem Spillsbury-Warmmachen zum Zertrümmern ins mentale Belvedere aufgestiegen. Vom Altbierpublikum springt noch ein Bühnen-Taucher ins Leere. Teilzeitpunk? Zweiter sinnloser Versuch, wie auch Schlägerei, dank Heins Desinteresse verebbt. „Ein Jahr/Es geht voran" wird konsequenterweise nicht gespielt. Radebrecherisches ist unnötig beim bewußten Schlager-Verbummeln. Gesellschaftskritik-Bop, Diskurs-Schweine-Rock entkommen heute abend unbeschadet der Folklore-Falle. Keine Hits, keine Peinlichkeiten.

Jörg Gruneberg

 
 
 
Ausgabe 10 - 2003 © scheinschlag 2003/04