Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Macht der Werbung brechen

Gespräch mit einem Sprayer über ästhetische Eingriffe in den öffentlichen Raum

Seit Anfang Herbst fallen im Stadtbild visuelle Veränderungen auf: Es gibt sogenannte Übermalungen von Werbeplakaten. Du bist einer von denen, die hinter dieser Aktion stehen. Hast du einen Künstlernamen?

Nein, weil ich mich als Teil einer Gruppe beziehungsweise eines losen Netzwerks sehe. Es geht nicht darum, als Künstler in Erscheinung zu treten. Ich selbst sprühe seit vielen Jahren und verstehe mich auch als jemand, der politisch wirksam sein will. Eine Art von Aktionen dieses Netzwerks sind zum Beispiel Entstellungen von Werbeplakaten.

Zur Aktion der Übermalungen: Was passiert dabei? Wie wirken sie ästhetisch?

Die Übermalungen funktionieren so, daß entweder ein sehr großer Teil der Werbung verdeckt wird und nur kleine Ausschnitte sichtbar sind, die für sich keinen oder einen anderen Sinn ergeben. Das Ganze funktioniert auf der Ebene der Irritation. Es hat eine ziemlich starke Wirkung. Die Werbung im Stadtbild drückt einen gesellschaftlichen Konsens aus. Es geht darum, diesen Konsens in Frage zu stellen beziehungsweise zu zerstören. Interessant ist, daß Aktionen, die Werbung verändern, andere nach sich ziehen. Leute, von denen wir gar nichts wußten, machen plötzlich ähnliche Sachen. Diese ästhetische Macht der Werbung zu brechen, scheint Mut zu machen, diesen Raum in Beschlag zu nehmen. Es geht auch um diese Frage: Wem gehört die Stadt?

Arbeitet ihr nur mit der Methode der Übermalung?

Nein. Wir haben keinen Konsens, wie mit Werbung umzugehen ist. Es gibt viele Möglichkeiten. Zum Beispiel werden das Logo oder der Produktname durch andere Zeichen ersetzt oder die Logos vertauscht. Manche machen zum Beispiel auch Vernagelungen. Das heißt, daß die Werbung teilweise mit Brettern zugenagelt wird.

Macht jeder sein Ding oder gibt es gemeinsame Aktionen?

Letztes Jahr im Dezember gab es zum Beispiel eine größere gemeinsame Aktion von Sprayern, Künstlern und auch Politaktivisten gegen Werbung. An diesem Tag haben unterschiedliche Gruppen, Grüppchen und Einzelne das Thema Werbung im Straßenraum in Angriff genommen. Es haben hunderte von Leuten teilgenommen. Irgendwann hat dann auch die Polizei mitbekommen, daß etwas Größeres im Gange war.

Künstler, die die Signale von Werbung verfremden und mit Werbeästhetik spielen, gibt es ja schon sehr lange. Was ist neu?

Neu ist nicht die Idee, das zu tun. Diesen Anspruch erheben wir nicht. Wenn eine Qualität hinzukommt, dann vielleicht die Massivität. Es geht nicht darum, etwas Neues zu erfinden, sondern darum, mit diesen Sinnentstellungen der Werbung größere Kreise zu ziehen.

Agiert ihr als Gruppe ­ oder Netzwerk ­ unter einem Namen?

Nein. Wir tun das bewußt nicht. Wenn du erst einen Namen hast, dann bist du die Gruppe X, deren Aktionen die Leute gut oder schlecht finden, jemand, der stellvertretend etwas tut. Eine Gruppe mit einer Gruppenidentität hat etwas Ausschließendes. Je weniger sie benannt ist, desto offener und beweglicher ist sie.

Aber ein Name ist doch auch etwas, das sich einprägt. So wie beispielsweise die „Innenstadtaktion".

„Innenstadtaktion" ist ein Beispiel für Aktionen, die ich sinnvoll fand, die in eine ähnliche Richtung gehen: Wem gehört die Stadt, Aneignung von Räumen. Doch gerade hier zeigt sich der Nachteil eines Logos „Innenstadtaktion". Die „Innenstadtaktion" stand für eine Szene. Die Sprache, die verwendet wurde, war sehr stark die Sprache dieser Szene. Sie wurde von zu wenigen Leuten verstanden, und die Sache bekam einen prätentiösen Einschlag.

Was die Einprägsamkeit anbelangt, so arbeiten wir lediglich damit, daß einzelne Aktionen Namen bekommen. Es hat meiner Meinung nach auch Sinn, so etwas punktuell zu bündeln, eben wegen der Sichtbarkeit.

Hat dieses Agieren Nachteile für die Kommunikation?

Es gibt genügend Kommunikation. Viele Gruppen kennen sich und tauschen sich aus, auch international. Wo ich hinkomme kenne ich meistens Leute, die etwas tun und bei denen ich auch bleiben kann. Es gibt weiterhin Kontakte zwischen Politaktivisten und Leuten aus dem Sprayerumfeld. Für den Austausch insgesamt hat Indymedia viel getan. Über die Aktivitäten der Sprayer gibt es diverse Magazine. Eines davon ist Overkill. Was nicht einen militärischen Overkill meint, sondern einen Ausdruck aus der Sprayerszene. Er beschreibt den Zustand, wenn eine Spraydose kaputtgeht und der Sprayer die ganze Farbe überall hat. Overkill gibt es im Overkill-Shop in der Köpenicker Straße am Schlesischen Tor.

Eine Heirat zwischen Künstlern beziehungsweise Sprayern und Politaktivisten ­ ist das problematisch?

Es gibt eine punktuelle Zusammenarbeit. Manche Politaktivisten beteiligen sich an Aktionen oder sind an anderen Formen als einer Demonstration interessiert. Problematisch ist, daß viele politisch Engagierte mit dem, was wir machen, nicht kompatibel sind, weil sie greifbare Strukturen bevorzugen und Diskussionen führen, die in etwas münden sollen, das dann als Konsens gilt. Auch ein hierzulande sehr stark verinnerlichtes Stellvertreterdenken ist ein Problem: Daß unter politisch-engagiert-sein begriffen wird, eine Institution oder einen Politiker zu kritisieren, der das, was er tut, besser machen könnte.

Ich glaube, es gibt auch Berührungsängste: Die Sprayer gelten als coole Hipster, die Politleute halten sich für alt und dröge.

Das ist aber ein Mißverständnis. Ich bin dreißig und kein cooler Hipster.

Bei der „Backjumpausstellung" ­ eine von der Bundeskulturstiftung finanzierte Ausstellung zu Urban Art im Bethanien in Kreuzberg ­ wurden die Werbeplakatübermalungen außen vor gelassen. War das Ignoranz?

Die Werbeplakatübermalungen hat die Bundeskulturstiftung ignoriert. Aber einige Aktivisten von uns waren dort mit anderen Arbeiten zu sehen. Diese Ausstellung war, obwohl sie an einigem vorbeiging, nicht wertlos. Denn es gab um dieses Ereignis herum viele Gespräche zwischen Leuten, die etwas machen. Aber das Publikum im Bethanien war sichtbar gespalten. Es gab dort auch sehr viele typische Kunstkonsumenten.

Befürchtet ihr, daß es irgendwann zu einer „Verkunstung" eurer Sache kommen wird? Aktiv sein für den Kunstkatalog oder für Kunstkonsumenten, so daß ihr im Museum landet?

Sicher erstarrt jede Ausdrucksform irgendwann und wird musealisiert. Wenn sie sich als zeitgemäße Ausdrucksform überlebt hat, ist es auch nicht weiter schlimm, wenn sie im Museum landet. Wichtig ist, daß sie lebendig bleibt, solange mit ihr gearbeitet wird, daß eine Gruppe wendig und offen genug bleibt, um ihre Ausdrucksformen zu erneuern, daß sie nicht nur eine eingefahrene Sprache oder Methode verwendet, sondern andere einfließen können.

Wenn du von einer massiven Wirkung zum Beispiel eurer Übermalungen von Werbung sprichst, überschätzt du dann nicht die Unmittelbarkeit der Wirkung? Erreicht diese Kunst nicht doch nur Leute mit bestimmten ästhetischen Erfahrungen?

Wir erwarten von unseren Aktionen nicht, daß jeder Mensch, der sie sieht, etwas damit anfangen kann. Wir werden auch nicht unmittelbar die Weltrevolution auslösen. Wir sind uns einer gewissen Begrenztheit der Wirkung dieser Aktionen durchaus bewußt.

Interview: Dietmar Wustrack

 
 
 
Ausgabe 10 - 2003 © scheinschlag 2003/04