Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kampf um die Köpfe

Der Kopftuchstreit zieht immer weitere Kreise

Nach den Anschlägen von Istanbul rief Innenminister Otto Schily zum „Kampf um die Köpfe der Muslime" auf. Vom martialischen Tonfall einmal abgesehen – es ist eine schöne Idee, beim sogenannten „Kampf der Kulturen" auch einmal die Oberstübchen einzubeziehen. Doch leider scheint die deutsche Politik am muslimischen Kopf nur eins zu interessieren: seine Bedeckung.

Der Streit um das Kopftuchverbot wird zusehends grotesk. Nicht nur Obrigkeit und konservative Presse befürworten die harte Linie, sondern auch weite Teile der feministischen und der pro-israelischen Linken oder laizistische Türken, die den Einfluß islamistischer Auslandsorganisationen fürchten. Mit dem Kampf gegen den grassierenden algerischen oder türkischen Islamismus hat die hiesige Debatte freilich wenig zu tun. An einer deutschen Schule flüstert ein Kopftuch von Fundamentalismus, aber viel lauter erzählt es von einer toleranten Gesellschaft, die zwischen Frömmigkeit und religiösem Fanatismus zu unterscheiden weiß.

Schon das Bundesverfassungsgericht war außerstande, bei frommen muslimischen Lehrerinnen das Recht auf freie Berufswahl gegen die Gefahr abzuwägen, daß sie Schulkinder per Kopftuch indoktrinieren könnten. Es übertrug die Entscheidung den Ländern. Nun will Baden-Württemberg die Kleidung der Lehrkräfte gesetzlich regeln, ausdrücklich mit Ausnahme christlicher Symbole, für die eine Art Gewohnheitsrecht gelten soll. Etliche Länder arbeiten an entprechenden Gesetzesentwürfen.

In der Berliner Regierung ist die PDS mehrheitlich gegen ein Verbot, die SPD eher dafür. Ihr Innensenator Erhart Körting will sogar die Kleiderordnung für den gesamten öffentlichen Dienst verschärfen. Außer dem Kopftuch einer Mathelehrerin könnte dann auch das Kreuz am Hals eines Meldestellensekretärs verboten werden. Doch wahrscheinlich kommt es nur zu einer „Kann"-Regelung. Daß am Ende wirklich alle Religionen mit gleicher Strenge behandelt werden, bezweifeln nicht nur die Islamisten.

Derweil werden auf den unteren Ebenen Tatsachen geschaffen. In Kreuzberg wurde der Fall einer Kita bekannt, die eine Muslimin wegen ihres Kopftuchs nicht einstellte. Und in einer Moabiter Grundschule erhielt eine Praktikantin sogar Monate nach der Einstellung Hausverbot. Obwohl an ihrer Arbeit nichts auszusetzen war und von islamistischer Gesinnung nicht das leiseste Gerücht bekannt ist, mußte der Träger sie versetzen. Der Integrationsbeauftragte Günter Piening sprach von „Stigmatisierung und Quasi-Berufsverbot", ohne jede rechtliche Grundlage und genau dort, wo Migrantinnen und ihre Töchter „die besten Aufstiegschancen" hätten. Piening forderte die Wiedereinstellung der Praktikantin, doch um mit ihrer Ausbildung weiterzukommen, legte sie ihr Kopftuch ab.

Natürlich darf weder der Vertrag mit einem Bildungsträger willkürlich verändert werden, noch gibt es überhaupt gesetzliche Bestimmungen, die ein Kopftuch verbieten. Dennoch fand Bildungssenator Klaus Böger, daß sich die Schule „korrekt" verhalten habe. Mit dem Recht nimmt es seine Behörde nicht so genau: Am 4. November wies ihre Dienststelle in Mitte unvermittelt die Schulen an, Kopftücher für Lehrpersonal generell zu untersagen. Böger mußte widerrufen. Ohne spezielles Gesetz sei ein Verbot „zur Zeit nicht zulässig".

Das juristische Chaos zeigt, wie sehr Politik und Verwaltung mit Religionspolitik überfordert sind. Statt für die unzweifelhaften Mißstände an den Berliner Bildungseinrichtungen pragmatische Lösungen zu suchen, fühlt sich manch einer in der Rolle des harten Aufräumers wohl; es scheint nur eine Frage der Zeit, bis auch den Schülerinnen ihre Kopfbedeckung verboten wird. Das Kopftuch ist eben lästig, beim Sportunterricht und beim Kampf um die Köpfe.

Johannes Touché

 
 
 
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