Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Es spricht der Ort

Der „Trias" der Berliner Gedenkorte

fehlt ein Drittel

Foto: Jenny Wolf

Foto: Jenny Wolf

Das mittelständische Bauunternehmen Heibus AG aus Salzgitter ist pleite. Im deutschen Rekordjahr der Insolvenzen ist das kaum eine Nachricht. Nur daß es sich hier um die Baufirma handelt, die zuletzt mit dem Neubau der Topographie des Terrors beauftragt war. An eine lange traurige Geschichte addiert sich ein kleines trauriges Kapitel.

1985 war der Martin-Gropius-Bau im Schatten der Berliner Mauer eine Ruine. Westlich bis zur heutigen Wilhelmstraße ein Schuttabladeplatz, ein Trümmerberg der Nachkriegsjahre. Erst sollte auf dem Gelände eine Straße gebaut werden, dann ein Hubschrauberlandeplatz. Kurz zuvor befand sich hier mit den Zentralen von SS und Gestapo eine der größten Machtkonzentrationen des Dritten Reichs. Hier hatte Heinrich Himmler seinen Dienstsitz als Reichsführer SS, die Wannsee-Konferenz wurde hier vorbereitet, vor allem aber der Kampf gegen den inneren Feind organisiert. Es war und ist einer der wichtigsten Orte der Täter.

Im Mai 1985 führten Mitglieder des Vereins „Aktives Museum und Widerstand in Berlin" auf dem Grundstück eine symbolische Grabung durch und legten Teile der erhaltenen Kellermauern frei. Zur Berliner 750-Jahr-Feier im Jahr 1987 wurde dem Gelände endlich ernsthafte Aufmerksamkeit zuteil, als im Martin-Gropius-Bau die große BerlinBerlin-Ausstellung stattfand. Die freigelegten Kellermauern, darunter der Zellentrakt des Hausgefängnisses der Gestapo, wurden als Teil der Ausstellung mit einem provisorischen Pavillon versehen und beeindruckten die Besucher teilweise stärker als die Ausstellung selbst.

Man muß diese Vorgeschichte kennen, und vielleicht muß man sie alle zwei, drei Jahre erneut hören. Bis hier ist es eine schöne Erzählung über Eigeninitiative, über den Erhalt unserer historischen Orte. Bühne frei, es beginnt die Posse.

1992 formiert sich aus dem „Verein Aktives Museum" die Stiftung „Topographie des Terrors", der Senat schreibt einen beschränkten Wettbewerb aus, den der Schweizer Architekt Peter Zumthor mit seinem so gelungenen wie komplizierten Entwurf gewinnt. Der Architekt nähert sich der Aufgabe demütig und bekennt, „daß es vollständig fehl am Platz wäre, zu versuchen, das Thema mittels Architektur zu symbolisieren oder etwa zu bewältigen. Es mußte mir gelingen, das abstrakteste Gebäude zu erfinden, daß ich je erfunden habe, eine Konstruktion, die Raum und Licht ist, zu behausen, ohne einen Kommentar abzuliefern. Das Bauwerk ist Hintergrund; es sprechen die Dokumente, es spricht der Ort."

Zumthors Entwurf zeigt ein kompaktes dreigeschossiges Gebäude, fast 130 Meter lang, 12 tief, 15 hoch. Die Fassaden werden durch die vertikale Reihung von mehreren hundert Betonstützen in „gebrochenem Weiß" strukturiert. Zwischen diesen schlanken Stäben bildet eine fast rahmenlose Verglasung die Außenhaut des Gebäudes. Das ist abstrakt und zurückhaltend ­ und sehr schwierig zu bauen. Das statische System der extrem schlanken Pfeiler orientiert sich am traditionellen Holzbau, aber Holz ist anders als Beton. Die von Zumthor gewollte Bauweise hat es so noch nie gegeben.

Der Rest der neunziger Jahre vergeht mit Materialproben und Versuchen, wie das Tragwerk realisiert werden kann. Eine erste Baufirma geht pleite, ein erster Baustopp. 1997 wird die provisorische Ausstellungshalle nach zehn Jahren abgerissen, der Ausstellungsbetrieb in Containern fortgesetzt. Ignatz Bubis schreibt einen Protestbrief. Jedes Jahr kommen rund 250000 Besucher. Die Materialversuche sind abgeschlossen, der Bau könnte für geschätzte 76 Millionen Mark realisiert werden. Der Senat sagt nein.

Er will nicht mehr zahlen für das Gebäude, das er gegen den Willen der Stiftung Topographie des Terrors für diese beschlossen hat. Der Architekt sagt, seine Planungen könnten nicht vereinfacht werden, das würde den Charakter des Gebäudes zerstören. Der Stiftungsdirektor Andreas Nachama hingegen sagt, man brauche kein Kunstwerk, sondern ein Dach über dem Kopf. Die Stiftung wollte schon im Wettbewerb ein schlichtes, leicht zu realisierendes Gebäude, einen „undekorierten Schuppen".

Man weiß nicht, ob man die Beteiligten loben soll für ihre Ausdauer. Oder soll man doch schreien, warum ein weltweites Prestigeobjekt wie die Topographie des Terrors finanziell so enorm klein gehalten wird: Einen so anspruchsvollen Neubau für unter 40 Millionen Euro, das ist kein Schnäppchen, das ist Dumping. Nachama sagt, daß die Behandlung der Stiftung „auf der Liste der Unerträglichkeiten ganz oben" steht.

Es wurde viel von der „Trias" der innerstädtischen Gedenkorte gesprochen, vom zentralen Mahnmal, dem Jüdischen Museum und der Topographie. Gemeinsam ist den dreien nur, daß für sie spektakuläre und viel diskutierte Neubauten erstellt werden sollten. Einer steht bereits, der zweite ist im Bau, und für den dritten ist finanziell das Land Berlin zuständig. Das ist besonders traurig, weil es der einzige authentische Ort ist, ein Ort der grausamen Banalität. Wenn man durch den Küchenkeller der Gestapo-Zentrale wandert, geht es nicht um das stille Gedenken der Opfer, sondern um die viel mühsamere Auseinandersetzung mit den Tätern.

Der Zumthor-Bau ist ohne Frage ein wunderbares Gebäude für einen außergewöhnlichen Ort. Und inzwischen ist auch klar, daß er realisierbar ist. Kann er aber nicht finanziert werden, nützt es niemandem, am Entwurf so lange zu streichen, bis er berlinkompatibles Mittelmaß geworden ist. Es gibt keinen Zumthor zum Preis eines Schuppens.

Berlin muß sich entscheiden, ob es hier einen repräsentativen Bau möchte, eine „Krone der Architektur" (Nachama). Dann muß man ein wenig tiefer in die Tasche greifen. Oder es kommt der von der Stiftung seit zwanzig Jahren geforderte Schuppen mit dauerhaftem Ausstellungsbetrieb. Auch das könnte ­ als bewußte Entscheidung ­ eine starke Aussage sein: Lassen wir das Gelände, auf dem die Machtzentralen der Nazis standen, in seinem zerstörten Zustand im Herzen der neuen Stadt.

Eins ist klar: Zum Jahr 2005, dem sechzigsten Jahrestag der Befreiung, wird auf dem Prinz-Albrecht-Gelände kein Neubau stehen, kein Zumthor und auch sonst keiner. Es wäre schön, eines Tages in diesem Gebäude zu stehen. So lange müssen wir diese Geschichte noch alle zwei bis drei Jahre neu erzählen, die Geschichte vom Umgang mit unserer Geschichte.

Florian Heilmeyer

 
 
 
Ausgabe 10 - 2003 © scheinschlag 2003/04