Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Wir brauchen unseren eigenen Ort"

Gespräch mit Lydia Nofal, Geschäftsführerin des muslimischen Vereins „Inssan"

Es gibt in Berlin bereits eine Vielzahl von muslimischen Verbänden und Vereinen. Weshalb habt ihr Inssan vor zwei Jahren gegründet?

Die Muslime in Deutschland, vor allem die Jugendlichen, haben große soziale und ökonomische Schwierigkeiten. Viele erleben sich nicht als Teil dieser Gesellschaft und ziehen sich zurück. Den bisherigen Vereinen gelingt es nicht, sie in dieser Gesellschaft zu integrieren, und die Mehrheitsgesellschaft beläßt sie am Rand. Wir wollen als Muslime und als Teil dieser Gesellschaft aktiv werden und ­ gemeinsam mit anderen Akteuren ­ Verantwortung übernehmen.

Wie setzt sich euer Verein zusammen?

Die meisten sind Studenten oder Akademiker, und immer mehr Schülerinnen. Die Nationalitäten sind gemischt: Araber, Türken und Deutsche, Bosnier, Pakistanis und Kurden, Sunniten und Schiiten. Derzeit beten wir in unterschiedlichen Moscheen, bei DITIB, einige gehen zur Islamischen Föderation, viele in arabische Moscheen. Der Verein hat einen Beirat mit Leuten aus dem interkulturellen Bereich: die ehemalige Integrationsbeauftragte Barbara John, die Religionswissenschaftlerin Gerdien Jonker oder Ismet Misirlioglu, aus dem Migrationsbeirat von Friedrichshain-Kreuzberg.

Die bisherigen Moscheevereine bieten seit einigen Jahren verstärkt Sozialarbeit für Jugendliche an, die jedoch oft als Rückzug und als Islamisierung des Alltags kritisiert wird.

Wir bieten eine Ergänzung. Wir wollen das nicht als Konkurrenz, sondern in Kooperation mit Einrichtungen der Mehrheitsgesellschaft machen. Die bisherige Integrationspolitik erreicht bestimmte Menschen nicht. Zum Beispiel die Familienberatung: Wenn die Kinder Drogen nehmen oder nicht mehr zur Schule gehen, gehen viele Eltern nicht zu den staatlichen Einrichtungen. Zum einen ist die Hemmschwelle enorm hoch, zum anderen sind die Berater interkulturell nicht geschult und beziehen die Wertvorstellungen der Eltern nicht ein. Wir versuchen, auf religiöse Überzeugungen einzugehen und gleichzeitig professionelle Beratung zu bieten. Bisher gehen die Eltern, wenn Probleme auftauchen, in die Moschee zum Hodscha und fragen dort um Rat. Der Hodscha spricht oft kein Deutsch, ist mit dieser Gesellschaft nicht vertraut und bringt dann Lösungsvorschläge, die aus einem anderen kulturellen Zusammenhang kommen ­ das hilft den Menschen nicht wirklich weiter.

Seid ihr noch in der Vorbereitungsphase oder konntet ihr schon erste Projekte realisieren?

Unser erstes Projekt war ein Mentorenprojekt zur Förderung von Migrantenkindern. Wir haben dabei mit dem Quartiersmanagement Pankstraße zusammengearbeitet. Studenten mit Migrationshintergrund sollten den Acht- bis Zwölfjährigen zeigen, daß man in dieser Gesellschaft mit einem Schulabschluß etwas erreichen kann. Das Projekt ist schließlich an der Finanzierung gescheitert. Aber trotzdem sind viele Kontakte zu den Schulen, Schülern und Eltern entstanden.

Mit dem Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung haben wir eine Moscheenrallye durchgeführt. Dabei konnten Mädchen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen einen Eindruck von der Vielfalt innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gewinnen. Das ist sehr gut angekommen, und wir werden es auch wiederholen.

Jetzt planen wir mit dem Bildungswerk, der überparteilichen Fraueninitiative, Aktion Courage und anderen Vereinen ein Projekt zur Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen. Das Projekt will einerseits Migrantinnen fördern, aber auch die Mitarbeiter von Behörden interkulturell schulen. Wir versuchen, ein breites Netzwerk aufzubauen. Vor allem im interreligiösen Bereich passiert in letzter Zeit sehr viel. Da gibt es verschiedene Projekte, in denen wir aktiv sind: EPIL (European Project for Interreligious Learning) oder das Projekt Sarah Hagar, in dem Frauen aus verschiedenen Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten.

In Kreuzberg und Neukölln gibt es z.Zt. fünf Moscheebauprojekte. Die Moschee von DITIP steht kurz vor der Fertigstellung. Die Projekte der unabhängigen Vereine Inssan und IVWP (Islamischer Verein für wohltätige Projekte) wurden bereits positiv beschieden. Die IFB hat bislang nur die Grundstücke erworben

Ich hatte den Eindruck, daß es schon lange keinen Austausch mehr gibt zwischen säkular-linken und islamischen Migrantenorganisationen...

Wir sind Teil des Anti-Diskriminierungsnetzwerks, in dem sich zahlreiche Berliner Initiativen zusammengeschlossen haben; unter der Leitung des TBB, einer Organisation, die islamischen Einrichtungen sehr kritisch gegenübersteht. Innerhalb der türkischen Community ist diese Konfrontation ein Problem, besonders in Berlin ist das ein altes Phänomen.

Wie kommt es, daß ihr euch zu einem Moscheeprojekt entschlossen habt?

Die Muslime können hier nicht heimisch werden, wenn sie keine repräsentativen Räume haben. Solange sie in den Hinterhöfen sitzen, erleben sie sich nicht als Teil der Gesellschaft. Wir brauchen unseren eigenen Ort, wo wir uns mit unserer Religion auseinandersetzen und uns vor dem Hintergrund der europäischen Gesellschaft weiterentwickeln können. Außerdem werden die Hinterhofmoscheen von der Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen. In Paris gibt es eine Moschee mit einem Café und einer Bibliothek, die von vielen genutzt wird. In London finde ich die Moschee als Touristenattraktion in den Reiseführern. Solche Gebäude gibt es in Dublin, in Stockholm, sie sind architektonisch interessant, sie werden von Vertretern des Staates gewürdigt, nur in Berlin gibt es das nicht. Berlin ist Hauptstadt, will Weltstadt sein, hat viele muslimische Bürger, aber es gibt kein öffentliches Gebäude von Muslimen.

Wieso habt ihr nicht versucht, zuerst mit der Projektarbeit eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, und dann mit dem Moscheeprojekt begonnen?

Ja, das hätte uns manche Schwierigkeit erspart, wenn wir als Verein bereits eine breite gesellschaftliche Anerkennung gefunden hätten. Aber bis so ein Projekt steht, gehen viele Jahre ins Land. Wir haben schon so viel Zeit vertan, die Situation ist so miserabel, daß wir nicht mehr warten dürfen.

War die Entscheidung, schon jetzt zu beginnen, auch eine Reaktion auf die gegenwärtigen Bauvorhaben anderer Moscheevereine?

Daß die Muslime dann verteilt sind? Nein, das nicht. Es gibt einen großen Nachholbedarf. Selbst wenn die Föderation einiges baut und DITIB und VIKZ, der Bedarf ist immer noch groß.

Welches Konzept habt ihr für die Finanzierung?

Wir wollen eine möglichst breite Finanzierung. Muslime geben einen Teil ihres Vermögens in religiöse Stiftungen, darüber finanzieren sich die meisten islamischen Projekte. Wir haben Kontakte zu Stiftungen von europäischen Muslimen und suchen auch außerhalb Europas. Sehr schön wäre es, wenn wir sunnitische und schiitische Quellen mobilisieren könnten. Wir hatten ein Angebot aus Saudi-Arabien, das ungefähr 80 Prozent des Projekts finanziert hätte, aber das wäre mit einem bestimmten Islam-Verständnis verknüpft gewesen, das uns fern liegt. Das Entscheidende ist, daß wir unsere Vorstellungen verwirklichen können.

Vor zwei Jahren habt ihr mit der Suche nach einem Grundstück begonnen. Nun gab es für eure Bauvoranfrage für die Pflügerstraße in Neukölln einen Positivbescheid, während das Bezirksamt das Projekt weiterhin ablehnt. Wie ist diese merkwürdige Situation entstanden?

Wir haben in verschiedenen Bezirken gesucht. Neukölln ist für uns sehr gut, weil dort die Probleme viel größer sind und eine sehr viel schlechtere Infrastruktur existiert als in Kreuzberg. Es ist wichtiger, daß man da etwas macht. Aber auch die Behörden sind noch nicht so weit wie in Kreuzberg, das ist zumindest mein persönlicher Eindruck. In Neukölln werden Migranten noch immer als Problem wahrgenommen.

Im Oktober 2002 haben wir für die Pflügerstraße beim Bezirk eine Bauvoranfrage gestellt. Der Bezirk bat Barbara John um eine Stellungnahme, und sie hat unseren Verein sehr positiv dargestellt. Wir erhielten trotzdem eine Ablehnung. Dagegen haben wir Widerspruch bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingereicht. Im Mai 2003 kam dann der Positivbescheid. Daraufhin hat sich der Bezirk bei der Senatsverwaltung beschwert, und Stadtentwicklungssenator Strieder distanzierte sich vom Bescheid seiner eigenen Behörde: Ihm sei das Projekt gar nicht vorgelegt worden. Von diesem Nachspiel haben wir erst aus der Zeitung erfahren. Da wurde uns klar, wie vehement der Bezirk unser Projekt ablehnt. Anfang September fand dann ein Gespräch mit Bürgermeister Buschkowsky und der Baustadträtin Vogelsang statt. Wir wollten einen Wettbewerb ausloben und boten dem Bezirk an, sich daran zu beteiligen. Die Entscheidung des Bezirksamts steht noch aus, die Baustadträtin scheint das abzulehnen. Die Fronten stehen noch immer.

Was sind die Argumente?

Nach außen hin wurde immer gesagt, daß das Projekt nicht in den Kiez paßt, daß es zu groß ist, daß der Kiez kippen würde. Das Gespräch mit uns war von grundsätzlichem Mißtrauen geprägt. Über den Kiez und das Projekt wurde überhaupt nicht gesprochen. Es ging nur um uns ­ ihr redet immer so plakativ, wer seid ihr, wer steht hinter euch, wer finanziert euch?

Das geplante Kulturhaus von Inssan umfaßt 6400 m2, die Moschee selbst ist 1200 m2 groß, zusätzlich Bibliothek, Seminarräume und Gastronomie. Für die weitere Planung ist ein Wettbewerb vorgesehen

Hattet ihr auch ein Gespräch mit Strieder?

Ja, aber ich glaube, Herr Strieder will grundsätzlich keine Projekte, die im Stadtbild als öffentliche Gebäude erkennbar sind ­ egal, ob das muslimische, christliche oder sonstige Einrichtungen sind.

Die Erfahrungen, die ihr mit eurer Projektarbeit gemacht habt, sind jetzt ja sehr gegensätzlich zu den Erfahrungen mit dem Moscheebauprojekt. Hattet ihr in diesem Ausmaß Widerstände erwartet?

Ich hatte nicht erwartet, daß das Mißtrauen so groß ist; ich glaube auch nicht, daß es überall so schwierig gewesen wäre. In Berlin ist die Situation viel stärker von Konfrontation geprägt als in anderen Städten. In Dortmund gibt es ein Gremium von Vertretern aller Behörden, die an einem Moscheebauprojekt beteiligt sind. Wenn ein Moscheeverein seinen Antrag einreicht, findet er in der Stadt einen Kooperationspartner, der grundsätzlich offen gegenüber solchen Bauprojekten ist und sie als gesellschaftliche Aufgabe begreift. Das ist eine ganz andere Ausgangsbasis als hier in Berlin, wo im Senat, in den Bezirken, aber auch innerhalb einer Behörde ganz verschieden reagiert wird. Hier hängt alles von einzelnen Personen ab.

In anderen Städten wissen die Vertreter der Stadt, die diese Projekte begleiten, mit wem sie es zu tun haben, sie kennen den Alltag der Muslime. Hier in Berlin wissen die Behörden nicht einmal, wie eine Moschee rein rechtlich organisiert ist, welche Dachorganisationen es gibt, welcher Organisation eine bestimmte Moschee zuzuordnen ist. Sie wissen eigentlich gar nichts und können nicht sachlich auf Anfragen reagieren. Es würde viel helfen, wenn man einen Kreis hätte, wo man sich austauscht, bisherige Erfahrungen auswertet, Richtlinien und Kriterien entwickelt. Das würde auch Sicherheit schaffen für die Muslime: Das können wir, das dürfen wir, das will die Stadt.

Interview: Rochus Wiedemer

Die Muslime in Berlin sind in Vereinen nach ethnischer Herkunft organisiert. Die Vereine sind Träger der Moscheen. Einige sind unabhängig, doch die Mehrzahl ist in Dachverbänden zusammengeschlossen.

DITIB: Dachverband des türkischen Religionsministeriums. Deutschlandweit 600 Moscheevereine, in Berlin 14. Die Räume bezahlen die Gemeinden selbst, die Imame sind i.d.R. türkische Beamte und bleiben nur fünf Jahre in Deutschland.

VIKZ: Verband islamischer Kulturzentren, eine Organisation der Süleymanli Bewegung, einer religiösen Opposition zum türkischen Staatsislam. In Deutschland 300 Gemeinden, in Berlin seit 1977 acht Neugründungen.

ADÜTF: Auslandsorganisation der Nationalistischen Aktionspartei MHP, die einen völkischen Islam vertritt. Europaweit 64 Vereine, in Berlin vier.

IFB: Islamische Föderation Berlin, eine Gründung von elf Vereinen, die Milli Görüs nahestehen sollen (eine Migrantenorganisation islamistischer Parteien, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird). Die IFB unterhält drei Kitas und eine Grundschule und erteilt an 15 Berliner Schulen islamischen Religionsunterricht.

Alle Moscheen der Verbände und einige der unabhängigen Vereine (Stand: 1999). Bis auf drei (in Spandau und Neukölln und eine historische Moschee in Wilmersdorf) sind die 106 Moscheen zumeist angemietete Gewerberäume

 
 
 
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