Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Windige Händler, arme Schlucker
und fröhliche Barbaren

Grenzstadt Berlin: Polnische Migration
im Spiegel der Berliner Presse (III)

Gibt man in die Suchmaschine der Berliner Zeitung die Begriffe „Polen" und „Berlin" ein, handelt der erste Artikel, der tatsächlich von in Berlin agierenden Polen erzählt, von Dieben, die ein Berliner Villenviertel unsicher machen. Danach erscheinen in Folge die Themen: Vertriebene, Menschenhändler, illegale Migration, Bandenkriminalität und dann irgendwann: osteuropäisches Liedgut. In Berlin leben um die 30000 statistisch erfaßte Polen – dazu kommen geschätzte 100000 Polen mit deutschen Pässen. Sie haben als Bewohner Berlins eine lange Geschichte. Polnische Organisationen gibt es in Berlin seit Anfang des 19. Jahrhunderts; in den sechziger Jahren lebten Schriftsteller wie Witold Gombrowicz in West-Berlin, und auch heute leben in dieser Stadt zahlreiche polnische Künstler und Intellektuelle. Doch würde man die Welt nur aus der Zeitung kennen, hätte man als die „polnische Gemeinde" eine Schar von Prostituierten, Putzfrauen, Schwarzarbeitern und Dieben vor Augen (die natürlich alle katholisch sind).

Zunächst eine kurze Rückblende: Die Bilder, die von Polen in Berlin zu Beginn der achtziger Jahre ­ in Zeiten des Kalten Krieges und der Solidarnos'c' ­ in der Presse erscheinen, bedienen die Stereotypen des Freiheitskämpfers gegen das Reich des dunklen und vom Chaos bestimmten Sozialismus. Ein anderes Muster ist das des liebenswerten Opfers der Unterdrückung. Der Pole ­ oder die Polin ­ ist warmherzig und kommt aus zwar rückständigen, aber von Liebe und Herzlichkeit geprägten Verhältnissen. Und man trifft ihn oder sie in Berlin vereinzelt an, als einen Gast, der sich still und bescheiden integriert.

Massenansturm
und Invasion

Was die neunziger Jahre bestimmen wird, zeichnet sich bereits in den späten Achtzigern ab. Zunächst wird die Zureise über die Ostgrenze als eine Bedrohung durch Masse wahrgenommen. Die Mengenangaben der Tagespresse, wenn es um den Andrang der Fiat Polski an der Grenze geht oder die geschätzte Ansammlung von Händlern auf dem Polenmarkt, überbieten sich täglich und übertreiben maßlos. Doch es sind nicht nur die puren Zahlen, sondern viel stärker die Bilder, die den fabulierenden Journalisten davongaloppieren. Die Journaille starrt 1989 vor allem auf den Polenmarkt ­ von der Morgenpost bis zur taz staunt die gesamte Presse erschrocken oder fasziniert über diesen Einbruch von etwas, was die vorhandene Ordnung auf den Kopf stellt. Die Polen stehen nun nicht mehr für die Freiheitskämpfer hinter dem eisernen Vorhang. Der eiserne Vorhang fällt, und die Zuwanderer aus dem Nachbarland stehen nun für das Eindringen der östlichen Welt in den vertrauten Westen.

In der Presse tauchen Polen zu dieser Zeit fast täglich auf: nun nicht mehr als Sympathieträger, sondern als windige Händler oder auch als Diebe. So werden in der Morgenpost neben den regelmäßigen Meldungen der beschlagnahmten Waren auf dem Polenmarkt ohne ersichtlichen objektiven Zusammenhang auch die Zahl der Diebstahlsdelikte des gleichen Tages angegeben.

Lieber Putze
als Lehrer

Gleichzeitig beginnt der polnische „illegal Beschäftigte" oder „Schwarzarbeiter" als Protagonist von Berichten und Reportagen in Erscheinung zu treten: „Mehr polnische als türkische Schwarzarbeiter in der Bundesrepublik", meldet der Tagesspiegel 1987 (30. Dezember). In West-Berlin seien bis November des betreffenden Jahres rund 500 Verfahren gegen Ausländer wegen illegaler Beschäftigung eingeleitet worden. Davon 300 gegen Polen, 100 gegen Türken, 90 gegen Jugoslawen. Die illegale Beschäftigung von Polen in Berlin habe stark zugenommen, konstatiert die Kripo, die meisten arbeiteten im Bauhandwerk, im Kohlenhandel, im Gaststättengewerbe, im Haushalt oder in der Prostitution.

Tatsächlich gab es um die Zeit vor und während der Wiedervereinigung einen starken polnischen Zuzug nach Berlin. Gründe für die Abwanderung war in dieser Zeit eine Lage in Polen, die von vielen Emigrierten schlicht als „hoffnungslos" beschrieben wird. Dabei spielten nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Rolle ­ ein enormes Lohn- und Preisgefälle ­, sondern auch das Gefühl von politischer und kultureller Stagnation und die Enttäuschung über die Farce des „Runden Tisches". Insbesondere gut ausgebildete Leute entschlossen sich mangels Perspektive, ihre Koffer zu packen. Staatsbedienstete wie z.B. Lehrer konnten oftmals mit einem Putzjob in Berlin eher ihre Familie versorgen als mit einer Anstellung in Polen.

Bevölkerungspolitik

Es gab in Berlin tatsächlich viele „illegal Beschäftigte". Eine wichtige Rolle dabei spielte die Berliner Flüchtlingspolitik. Ende der achtzigerer Jahre noch galten für Flüchtlinge aus „Ostblockstaaten" diverse Bevorzugungen. Im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen sollten „Ostblockflüchtlinge" generell für mindestens zwei Jahre geduldet werden, auch bei Ablehnung des Asylantrags ­ allerdings ohne Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis oder Sozialhilfe. Der Berliner Senat gewährte darüberhinaus Polen und Ungarn den Aufenthalt in Berlin ­ „aus arbeits- und bevölkerungspolitischen Gründen". 1990 erklärte der Berliner Senat die politische Verfolgung von Polen für beendet ­ abgeschafft wurde das politische Asyl dann mit dem neuen Ausländergesetz. Polnische Zuwanderer bekamen nun in einer seltsamen bürokratischen Prozedur (Asylantrag stellen und gleich wieder zurückziehen) eine sogenannte „Aufenthaltsbefugnis" ­ Arbeitsrecht erhielten sie mit einer Verzögerung von sechs Jahren. Im Jahr 1991 besaßen von 26500 Polen in Berlin nur 3770 eine Arbeitserlaubnis. Daß dies eine indirekte Aufforderung zur Schwarzarbeit sei, wurde oft angemerkt. Manche behaupteten auch ­ was nicht unplausibel erscheint ­, daß diese Schwarzarbeiter auf den Berliner Baustellen gebraucht wurden und die Sonderregel für Polen und Ungarn nicht zufällig mit recht laxen Kontrollen korrespondierte (z.B. Hans-Peter Meister im ND 1991).

Zug
Foto: Steffen Schuhmann

Die Verschärfungen im Asylrecht Anfang der Neunziger führten nicht unbedingt zu einer Schmälerung polnischer Reiselust zu Arbeitszwecken, jedoch änderte sich die Art der sogenannten Arbeitsmigration. Die Verringerung des Lohngefälles von vierzig zu eins auf fünf zu zwei ließ viele Auswanderer der ersten „Migration" nach Polen zurückkehren, schreibt Ma[gorzata Irek in Schmugglerzug Berlin ­ Warschau, und läßt eine zweite Generation nach Berlin aufbrechen. Irek, die sich (im Selbstversuch) mit polnischen Putzfrauen beschäftigt, beschreibt diese zweite Generation als „einfachere Frauen, die in Polen arbeitslos waren und keine attraktive Berufsausbildung haben". Oft pendelten sie regelmäßig über die Grenze, weil sie nebenbei in Polen noch eine Familie zu versorgen hatten.

Eher vorübergehend hält sich nach der Wiedervereinigung auch eine neue Sorte polnischer Bauarbeiter in Berlin auf: der „Werkvertragsarbeiter". Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa werden von deutschen Baufirmen pauschal befristet geliehen und meist schamlos ausgebeutet. Ihr gesamter Aufenthalt ­ von der Unterbringung bis zur Entlohnung der Arbeit ­ hängt von einem Vertrag ab, den die Arbeiter mit dem Unternehmen schließen. Mit Abstand die meisten derartigen „Tagelöhner" kommen aus Polen (Tagesspiegel, 1. Juli 1996).

Mitleid
mit den Ausgebeuteten

In den neunziger Jahren und bis heute findet man in sämtlichen Berliner Zeitungen dementsprechend viele Polen-auf-dem-Bau- und polnische-Putzfrauen-Artikel. Das Bild der Polen in den Medien ändert sich merklich: Die Polen verlassen als mediale Protagonisten die politische Bühne. Das neue Bühnenbild sind die Niederungen des Alltags, vor allem der Kampf um das Geld (Titel wie: „Auf der Jagd nach begehrten Devisen") mit verpönten Mitteln. Dabei schreiben die Zeitungen oft ausgesprochen mitleidig. Beispiele: In einem Zeit-Dossier vom Juni 1998 verdient ein Leszek Rosinski in Berlin auf einer Baustelle einen „Hungerlohn". In auf Falte gebügelten Hosen mit „blütenweißen Socken" wagt er nicht, sich mit Baustaub auf der Hose in der Öffentlichkeit zu zeigen. Er „lebt in der Schattenwelt der Illegalen, die bevölkert ist von Rechtlosen".

In einem Tagesspiegel-Bericht bedauert ausgerechnet ein Polizeisprecher, nachdem er die hohe Zahl illegal Beschäftigter beklagt hat, nicht nur die schlechten Arbeitsbedingungen, sondern die „pure Sklavenarbeit" der Leute ­ und weiß von Polen zu erzählen, die in einem Keller in einem Bretterverschlag hausen mußten. Neben sachlichen Berichten über Firmengewinne durch Lohndumping auf Baustellen, verweigerte Lohnzahlungen oder die Lage von polnischen Putzfrauen finden sich häufig Artikel mit einem derart weinerlichen, nahezu respektlosen Unterton, daß sich dem Leser eigentlich die Nackenhaare aufstellen müßten. In der Regel werden die „Ausgebeuteten" als arm, wehrlos und gescheitert dargestellt. In düsteren Farben wird ihre Lage beschrieben, nicht aber der politische Hintergrund beleuchtet. Selten finden sich Meldungen wie die, nach der auf der debis-Baustelle am Potsdamer Platz polnische Bauarbeiter ihre Arbeit niederlegen, um eine Lohnnachzahlung von acht Monaten zu erstreiten (Tagesspiegel, 23. März 1997). Letztendlich bleiben Bilder von Schattenwirtschaft, Menschenhandel, Kriminalität oder Prostitution als etwas diffus Bedrohliches und vor allem Vertrauensunwürdiges im Gedächtnis hängen. („Schmuggelalltag: Frau gegen Auto", „Aus Polen direkt ins Bordell", Tagesspiegel 10. Februar und 12. April 1997)

Eine viel kleinere Anzahl von Medienberichten, mit der sich der nächste Teil der Serie auseinandersetzt, wendet diese Bilder des armen Polen, des Gescheiterten, positiv zum sich in unsicheren Verhältnissen durchschlagenden Polen, zum Improvisationskünstler in informeller Ökonomie. Die Journalisten treffen den Polen nun als Glücksritter einer vitalen Überlebensökonomie an, als selbstbewußten Versager und fröhlichen Barbaren...

pisp

Nächster Teil der Serie: Polen in Berlin – vor Polens Beitritt zur EU. Kommt der Osten in den Westen oder ist er längst da?

 
 
 
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