Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Rechtsberatung für den Kiez

Leerstehende Läden ­ mal ohne Kunst

Der Laden in der Schlesischen Straße ist klein und eher unscheinbar. Im Vorbeigehen kann man durch die schaufensterartige Frontscheibe sehen und erkennt zwei Couchtische mit unterschiedlichen Sesseln, im Hintergrund zwei Schreibtische mit Computern. An der Wand hängen gerahmte Porträts, Zeichnungen vom Prozeß gegen den Footballstar O. J. Simpson.

Die Anwälte sind jung und tragen keine Anzüge. „Was viele nicht wissen, ist, daß sie sich auch außerhalb des Gerichts rechtlich beraten lassen können und das vom Staat bezahlt bekommen", sagt Arnold Lehmann, Rechtsanwalt, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin. Sein Kollege Robert Bilic, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeiter und im Wrangelkiez aufgewachsen, ergänzt: „Unser Anliegen ist es, die Leute darauf hinzuweisen, daß für sie die Möglichkeit besteht, sich einen Anwalt zu leisten. Die Hemmschwelle, ein Anwaltsbüro aufzusuchen, soll abgebaut werden."

Die Rechtsberatung gehört zum Ladenprojekt Wrangler und wird im Rahmen des Programms Soziale Stadt vom Quartiersmanagement Wrangelkiez mit Räumen und Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Insgesamt fünf Projekte wurden hier Anfang Mai 2003 gestartet, darunter mehrheitlich Ateliers und Galerien. Die Existenzgründer können zu billigen Mieten in den einst leerstehenden Läden im Wrangelkiez ihren eigenen Geschäftsideen nachgehen und sollen nach einer anfänglichen Förderphase auf eigenen Beinen stehen.

Organisiert wird Wrangler von der Agentur Spielfeld, die seit 2001 auch das gleichartige Ladenprojekt Boxion am Boxhagener Platz in Friedrichshain betreut. Ziel des Programms ist eine aktive Stadtgestaltung durch Förderung neuer Ökonomien, neuer Kultur- und Lebensformen, kultureller Aktivitäten und der Erweiterung von öffentlichen Räumen. Die Läden sollen multifunktional genutzt werden. Die beiden Wrangler-Ladenprojekte in der Schlesischen Straße sind beispielsweise Kneipe und Galerie in einem, in den Ladenräumen der Rechtsberatung nebenan kann man sich abends Filme mit juristischen Themen wie Eine Frage der Ehre oder Die Geschworenen ansehen.

„Eigentlich ist jeder Anwalt verpflichtet, Mandanten mit geringem oder gar keinem Einkommen zu einem staatlich festgesetzten Preis plus einer geringen Zuzahlung zu beraten", erklärt Arnold Lehmann, „die meisten Anwälte wissen es nur nicht oder wollen es ihren Mandanten nicht sagen." Bei der Beratung zahle der Staat einen feststehenden Betrag an den Anwalt, jede Zuzahlung sei Gewinn, erklärt er. Bei der Rechtsberatung können sich Bedürftige ­ also Leute, die Sozialhilfe beziehen oder im Monat nicht mehr als 360 Euro abzüglich aller Verpflichtungen zur Verfügung haben ­ für einen Festpreis von zehn Euro beraten lassen. Der reguläre Preis für eine Erstberatung liegt bei 30 Euro, Korrespondenzen usw. kosten 40 bis 80 Euro.

Das Herausragende am Konzept der Rechtsberatung ist, daß die Geschäftsidee die Kiezbewohner anspricht. Zur Rechtsberatung kommen vorwiegend Leute aus der Nachbarschaft, ungefähr die Hälfte davon sind Sozialhilfeempfänger. Die Fälle sind meist sozial- oder arbeitsrechtliche Angelegenheiten, auch Mietrecht ist gefragt. Mittlerweile haben die Anwälte rund 60 Mandanten, von denen manch einer auch mal gerne abends zum Quatschen vorbeischaut. Werbung haben die drei Ladenbetreiber nicht gemacht. Die Leute können die Informationen auf einem Aushang im Schaufenster lesen und einfach hereinkommen. Anfang 2004 soll sich dann entscheiden, ob die im Mai begonnenen Ladenprojekte im Förderprogramm von Wrangler bleiben. Die Rechtsberatung dürfte gute Aussichten haben.

Sonja Fahrenhorst

 
 
 
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