Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Das Aufweichen der Behutsamkeit

Matthias Bernt zieht ein Resümee der Stadterneuerung in den 90ern

Eine Szene, wie sie vielen in Sanierungsgebieten bekannt sein dürfte: Im Sanierungsbeirat wird ein konkretes Problem diskutiert, die Betroffenenvertretung weist vorwurfsvoll auf die in den Leitsätzen der Stadterneuerung verankerten sozialen Ziele – Schutz der Mieter vor Verdrängung etc. – hin, die Vertreter der Verwaltung heben daraufhin hilflos die Schultern. Ihnen fehlen die Instrumente, um diese sozialen Ziele auch konsequent durchzusetzen.

Stadterneuerung war in Berlin seit den Sechzigern schon allein aufgrund der Dimension der betroffenen Gebiete ein zentrales Politikfeld. Doch spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends war unübersehbar, daß die Stadterneuerung ­, nach dem Kreuzberger Erfolgsmodell der Achtziger immer noch „Behutsame Stadterneuerung" genannt ­ in der handfesten Krise steckt. Der Anspruch sozialverträglicher, an den Bedürfnissen der Bewohner orientierter Sanierung und die zu beobachtende Realität in den Sanierungsgebieten Ostberlins klaffen in der Praxis immer stärker auseinander. Der Politologe Matthias Bernt hat über diese Entwicklung nun eine Studie veröffentlicht: Rübergeklappt. Die „behutsame Stadterneuerung" im Berlin der 90er Jahre. In dem Band geht er den Ursachen dieser Krise nach. Als Politikwissenschaftler stellt Bernt die Frage „who governs?" in den Mittelpunkt der Untersuchung: Wer hat mit welchen Interessen wie Einfluß auf politische Entscheidungen genommen? Als langjähriges Mitglied der Betroffenenvertretung Helmholtzplatz ist Bernt zudem ein kompetenter Kenner des Sanierungsprozesses samt seinen Debatten im Bezirk Prenzlauer Berg, der Anfang der Neunziger zum „größten Sanierungsgebiet Europas" ausgerufen wurde.

Die „theoretischen Vorbemerkungen" sollten den Nicht-Politologen nicht abschrecken – danach wird der Leser mit einem hochspannenden historischen Abriß bis Anfang der Neunziger be-lohnt. Von der sozialstaatlichen „Kahlschlag"sanierung im Westberlin der Sechziger und Siebziger über deren Krise, den Anfängen der „Behutsamen Stadterneuerung" in Kreuzberg bis zum Erfolgsmodell IBA (Internationale Bauausstellung) berichtet das Kapitel „Stadterneuerung in Westberlin". Das folgende Kapitel über Sanierung und Bürgerbewegung in Ostberlin bis 1989 ist fast noch fesselnder, da es eine bislang eher mit Klischees behaftete Grauzone gründlich und sachlich ausleuchtet. (So wurden in der DDR schon Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Altbauviertel rekonstruiert, legalisierte Hausbesetzungen gehörten zum Alltag, Selbsthilfe der Mieter wurde gefördert.) Im folgenden wird die Wendezeit beschrieben – und damit das „Rüberklappen" der Westberliner Behutsamen Stadterneuerung auf den Osten, inklusive der Akteure.

Hier liegt auch der Wendepunkt der Geschichte: Das Modell wurde ­ mehr oder weniger ­ schlicht übertragen, obwohl die Ausgangsbedingungen völlig andere waren als im Kreuzberg der Achtziger. Dort hatten kommunale Sanierungsträger den Großteil der Grundstücke aufgekauft, das Geschehen dort war somit politisch steuerbar, die Erneuerung erfolgte unter Einsatz enormer öffentlicher Fördermittel. Im Osten sah die Situation ganz anders aus: Der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" zog eine flächendeckende Restitution nach sich, die neuen Privateigentümer veräußerten zu großen Teilen an private Immobiliengesellschaften, gleichzeitig zog sich das Land mehr und mehr aus der öffentlichen Förderung zurück und setzte auf den Einsatz privaten Kapitals bei der Stadterneuerung ­ was freilich nicht ohne die Berücksichtigung von Eigentümerinteressen funktioniert. Doch eine grundsätzliche Debatte über Strategien angesichts solch völlig anderer Rahmenbedingungen blieb aus, vielmehr wurden diese Bedingungen „durch den Filter des Leitmotivs" (Bernt) betrachtet. Nun ging es nicht mehr um durchzusetzende Steuerung, sondern um auszuhandelnde Kompromisse, um die Moderation der Akteure mit „weichen Mitteln" ­ freilich unter Beibehaltung des Labels „Behutsame Stadterneuerung" und sozialer Zielstellungen. In der Praxis jedoch wurde die „Behutsamkeit" dadurch mehr und mehr aufgeweicht, zumal etliche Steuerungsmöglichkeiten beschnitten wurden. Bernt beschreibt dies als Transformation eines sozialstaatlichen in ein postfordistisches Sanierungsprogramm.


Foto: Uwe Gottschling

Konkret untersucht Bernt dies am Beispiel Prenzlauer Berg: Er stellt die Akteure vor, ihre Handlungsfelder und Beziehungen, analysiert Programmdiskussionen und schildert schließlich als konkretes Beispiel die Debatte um mehrjährige Mietobergrenzen, die Ende der Neunziger tobte ­ laut Bernt einer der wenigen Fälle, in dem eine politische Forderung in die Verwaltungspraxis umgesetzt wurde. Freilich fehlt dieser Geschichte die bittere Pointe (da das Buch schon abgeschlossen war): Im Sommer 2002 wurde die von vielen als Errungenschaft angesehene mehrjährige Mietobergrenze von einem Verwaltungsgericht kassiert. Diese Tatsache stellt allerdings einige Hypothesen der Studie in Frage ­ u.a., was die Motive einiger Akteure betrifft. Und vielleicht hätte auch der Aspekt, welche Rolle die Rechtssprechung in diesem Prozeß spielt, stärker beleuchtet werden müssen.

Bernts Resümee ist zwiespältig: Einerseits konnte innerhalb kurzer Zeit die Hälfte des Wohnungsbestandes erneuert werden, andererseits deuten hohe Fluktuation, grundlegender Wandel der Bevölkerungsstruktur und des Mietniveaus darauf hin, daß die Stadterneuerung, gemessen an ihren sozialen Zielsetzungen, weitgehend gescheitert ist.

Bernts Buch wünscht man, daß es zur Pflichtlektüre – nicht nur, aber vor allem – für die Akteure der „Behutsamen Stadterneuerung" wird. Gerade weil es Anlaß zum Streit bietet – und weil es in vielen Punkten schmerzhafte Wahrheiten offenlegt.

Ulrike Steglich

Matthias Bernt: Rübergeklappt. Die„Behutsame Stadterneuerung" im Berlin der 90er Jahre. Verlag Schelzky & Jeep, Reihe architext. Berlin 2003, 19,80 Euro

 
 
 
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