Ausgabe 09 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Symbolische Hausbesetzung

Am 9. Oktober besetzten um die 50 Personen ein Haus in der Glogauer Straße 16 in Kreuzberg. Wer sich durch diese Nachricht in Erinnerung an vergangene Zeiten in Euphorie versetzt sah, wurde bei näherer Betrachtung enttäuscht. Hintergrund der Auseinandersetzung ist ein Streit zwischen dem Bezirksparlament und dem Berliner Sozialforum um die künftige Nutzung einer ehemaligen Kindertagesstätte. Das Sozialforum, das sich selbst als Mittler zwischen global und lokal agierenden Gruppen in Berlin etablieren möchte, will hier sein „Soziales Zentrum Berlin" einrichten, ohne dafür die vom Bezirk geforderten 3500 Euro pro Monat zahlen. Der Bezirk begründet die Forderung mit den „handelsüblichen Vergleichsmieten" von 5 Euro pro m2.

Genutzt werden soll das Haus als zentrale Anlaufstelle für „all diejenigen, die ihr Leben in die Hand nehmen wollen, um sich mit anderen selbst organisiert zur Wehr zu setzen." Dadurch sollen ­ so hofft das Bündnis ­ unter anderem die Lücken im Sozialwesen geschlossen werden, die der zunehmende (finanzielle) Rückzug des Landes Berlin hinterläßt. Die Fraktionen von SPD, Grünen und PDS hatten bereits beschlossen, das Projekt in der Glogauer zu unterstützen, die Verhandlungen waren in den letzten Monaten jedoch ins Stocken geraten. Der Grund dürfte darin liegen, daß ein Gastronom ein ernsthaftes Angebot für das Gebäude unterbreiten will. Der Bezirk schwankt zwischen dem politischen Willen, stadtteilpolitische Entwicklungen „von unten" zu fördern, und der Not, den klammen Geldbeutel füllen zu müssen.

Bei der Aktion handelte es sich also nicht um eine Besetzung, sondern nur um eine demonstrative Übernachtung, um den Bezirk wieder an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Und nicht einmal die wurde zu Ende gebracht, denn auch die Polizei wollte, als sie mit Mannschaftswagen anrückte, offensichtlich die alten Zeiten wieder aufleben lassen. Dennoch kam es zu einer friedlichen Lösung: In Absprache mit der Einsatzleitung und den herbeigeeilten Politikern verließen die „Besetzer" das Haus gegen 0.30 Uhr freiwillig. Der Bezirk sagte eine schnelle Fortführung der Verhandlungen um die Höhe der Mietkosten zu.

Florian Heilmeyer

 
 
 
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