Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Mietvertrag bei Duldung

Zähe Fortschritte bei der Wohnungsunterbringung von Asylbewerbern

Was lange währt, wird endlich gut: Die seit langem existierende Forderung von Flüchtlingsinitiativen, Asylbewerbern die Möglichkeit zur Anmietung von Wohnungen zu geben – bereits in den Koalitionsvereinbarungen von PDS und SPD festgeschrieben – wird endlich umgesetzt. Seit dem 1. September gilt in Berlin die „Ausführungsvorschrift über die Anmietung von Wohnraum durch Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz", worin die Bezirke aufgefordert werden, für die Mietkosten von Asylbewerbern aufzukommen. Die Miete wird bis zu dem für Sozialhilfeempfänger üblichen Satz übernommen und dürfte für die öffentliche Hand in der Regel deutlich billiger sein als die relativ hohen Unterbringungskosten in den Asylbewerberheimen.

So ist es denn auch in erster Linie das Kostenargument, mit dem die Koalition jene Vielzahl von politischen Zeitgenossen, die eine Unterbringung in Heimen aus „Abschreckungsgründen" befürworten, von ihrer Ausführungsvorschrift überzeugen will. Gleichwohl stimmt Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) mit den Flüchtlingsinitiativen darin überein, daß die eigene Wohnung eine wichtige Voraussetzung für die Selbständigkeit und gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen darstellt.

Aber auch eine derart fortschrittliche Regelung ist leider mit einer ganzen Palette von Haken versehen. So sind die Bezirke nicht verpflichtet, den Senatsvorschlag zu übernehmen. Wie schon im Fall der Abschaffung des Chipkartensystems und der Wiedereinführung von Bargeldleistungen für Flüchtlinge, die von Spandau und Reinickendorf abgelehnt wurde, könnten Bezirke die Übernahme von Mietkosten verweigern. Außerdem wird eine Mietkaution von den bezirklichen Leistungsstellen nur in Härtefällen übernommen. Ein weiteres Problem stellt die restriktive Vergabepraxis von Wohnberechtigungsscheinen dar: Da für die Erlangung eines WBS eine mindestens ein Jahr gültige Aufenthaltsgenehmigung nötig ist, sind viele Asylbewerberinnen aufgrund einer kürzeren Duldung nicht in der Lage, günstige Sozialwohnungen anzumieten.

Noch größer als die verwaltungsinternen Hindernisse sind aber womöglich jene Barrieren einzuschätzen, die den Flüchtlingen außerhalb der staatlichen Bürokratie im Weg stehen. So beklagt die „Initiative gegen das Chipkartensystem" in einem offenen Brief an die Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Irene Junge-Reyer (SPD), daß die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Flüchtlinge offenbar generell nicht als Mieter akzeptieren würden. Die Initiative führt mehrere Beispiele an, in denen Asylbewerber trotz zahlreicher Mietgesuche auch von jenen Gesellschaften abgelehnt wurden, die sonst über unvermietbare Wohnungen jammern. Abgesehen von den Fällen, in denen Flüchtlinge als Mieter schlichtweg unerwünscht sind, befürchten viele Vermieter, bei einer Abschiebung der Mieter möglicherweise selbst für etwaige Mietschulden und Renovierungskosten aufkommen zu müssen. Dem muß man aber entgegenhalten, daß bei den derzeitigen Leerstandsquoten etliche Wohnungen ohnehin nur Kosten verursachen und daher kaum ein betriebswirtschaftliches Risiko besteht.

Pikant ist in diesem Zusammenhang, daß die städtischen Wohnungsbaugesellschaften mit ihrem Verhalten eine politische Initiative ihres „Eigentümers", dem Land Berlin, konterkarieren. Bei der Frage einer Vermietung von Wohnraum an Flüchtlinge wird somit der Nachweis fällig, inwieweit eine politische Steuerung der Geschäftsaktivitäten der städtischen Wohnungsbaugesellschaften überhaupt noch möglich ist. Es darf daher mit Spannung erwartet werden, wie Staatssekretärin Junge-Reyer, selbst Mitglied des Aufsichtsrates der städtischen GEWOBAG, auf den offenen Brief reagiert. Die meisten Flüchtlinge werden noch etwas warten müssen. Bis auf weiteres kann von einer freien Wahl der eigenen Wohnung keine Rede sein.

Thorsten Friedrich

 
 
 
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