Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Landgewinnung

Gleich an zwei Stellen geht es demnächst der Leipziger Straße an den Kragen. Der Senat macht ernst mit dem Planwerk Innenstadt, das für jede städtebauliche Problematik den „historischen", also vormodernen Stadtgrundriß als Lösung vorschreibt.

Während im Fall des Molkenmarkts auch die renitentesten Bürgerinitiativen nichts wesentliches zu beanstanden haben ­ die Gegend ähnelt derzeit einem Autobahnkreuz und kann auch mit den gröbsten Blöcken nur gewinnen ­ sorgt der geplante Umbau des Spittelmarktes für Kontroversen. Der Senat will dort eine massive Blockrandbebauung zwischen die locker verteilten Plattenbauten schieben. „Kraft durch Dichte" nennt Stadtenwicklungssenator Peter Strieder diese Strategie, die vor allem wegen aufwendiger Straßenumbauten in die Kritik geraten ist: Zwecks Verlangsamung des Verkehrs soll der Platz verengt, die Spreebrücke abgerissen und die Leipziger Straße nach Norden verschwenkt werden. Sie soll künftig über die alte Gertraudenbrücke führen, die zu diesem Zweck ebenfalls abgerissen, neu gebaut und dann historisch ­ hier darf man wohl sagen: historizistisch ­ mit den originalen Natursteinen beklebt werden soll.

Was wie ein Schildbürgerstreich klingt, ist wohl durchdacht. „Gewinn durch Umbau" war der Titel des 58. Architekturgesprächs, zu dem Strieder am 19. September ins Kronprinzenpalais einlud. Der Titel ist wörtlich zu nehmen: Das Bauland, das der Senat mit der Verengung und Verschiebung der Leipziger Straße gewinnt, hat einen Verkehrswert von rund 50 Millionen Euro. Dagegen ist eine neue Brücke ein Klacks.

Zwar ist der Spittelmarkt derzeit zu weitläufig und vom Autoverkehr zugelärmt; die Parkflächen wirken wie Abstandsgrün. Andererseits wohnen in der Gegend ca. 9000 Menschen, die für die Vorstellung, statt einer luftigen Landschaft lange Bürofassaden vor dem Fenster zu haben, schwer zu begeistern sind. Im Rahmen der Bürgerbeteiligung hatte man darum die Neubauten etwas von den alten Platten abgerückt. Wie so etwas aussieht, kann man auf der Fischerinsel besichtigen, wo an der Stelle des Ahornblattes heute ein einsamer Hotelkasten herumsteht, ein Zwitter, weder Blockrand noch Solitär.

Eine weitere Halbherzigkeit ist die Verkehrsplanung. Bis zu 20 Prozent des Autoverkehrs will die Senatsverwaltung in den nächsten Jahren abbauen. Dieses schöne Ziel wird zwar einhellig begrüßt, aber viele bezweifeln, ob die Autos dadurch weniger werden, indem man sie durch enge Straßenschluchten preßt. Und der Lärm? Im Rücken der geplanten Blöcke sagen die Prognosen zwar ruhige Ecken voraus, an der Straße selbst wird es aber weit lauter. Denn auch nach den Umbauten soll die Leipziger Straße mindestens sechs Fahrspuren behalten. Verengt und verdichtet wird vor allem auf Kosten des Fußgänger- und Fahrradverkehrs sowie des Straßengrüns, das nach den bisherigen Plänen überhaupt keinen Platz haben wird.

Während sich Bürgerinitiativen und Bezirksamt mit leisem Gemäkel zufrieden geben müssen, gab die mitregierende PDS einen Alternativentwurf in Auftrag, der mit der städtebaulichen Ensemblewirkung der Leipziger Straße etwas pfleglicher umgeht, Straße und Brücke erhält und größere Grünflächen vorsieht. Mit etwas Glück könnte der Entwurf noch in die Planungen einfließen. An der Verwertungsstrategie des Senats kommt aber auch die PDS nicht mehr vorbei. Zwei der Grundstücke sind bereits verkauft, und die Hoffnung, mit Städtebau künftig Geld in die Kassen zu bekommen, wird dem Senat nicht mehr aus dem Kopf gehen.

„Sehr, sehr vorsichtig" solle man mit diesem Gedanken sein, warnte der Stadtplaner Ludwig Krause im Kronprinzenpalais. Die Allgemeinheit muß die Entwicklungskosten vorschießen, ohne genau zu wissen, wer hinterher das Grundstück bebaut. Die Investoren sind scheu; ein plötzlich wieder auflebender Restitutionsanspruch, eine lästige städtebauliche Auflage, ein Preissturz auf dem Immobilienmarkt – schon bleibt die Stadt auf den Kosten sitzen. Als Immobilienhändler ist der Senat unprofessionell und vor allem: erpressbar. Krause: „Es wäre das erste Mal, daß die Öffentliche Hand dieses Spiel gewinnt."

jt

 
 
 
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