Ausgabe 08 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Auf zum lauen Herbst

Im Frühling kündigten die Funktionäre der DGB-Gewerkschaften großspurig einen „heißen Herbst" an, der die geplanten Angriffe auf den Sozialstaat hinwegfegen würde. Derartige Töne konnte man von dieser Seite seitdem nicht wieder vernehmen. Die klägliche Mobilisierung zur Kundgebung vor dem SPD-Parteitag am 1. Juni legt im Gegenteil den Verdacht nahe, der DGB-Apparat hätte ebendiese geradezu sabotiert. Deshalb kündigten damals einige Redener an, die Vorbereitung für eine bundesweite Demonstration im Herbst selbst in die Hand zu nehmen.

Unter dem Motto „Es reicht! Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag" wird diese nun am 1. November am Alexanderplatz starten und von bundesweiten Aktionen am 20. Oktober eingeleitet. Vorbereitet wird die Demonstration unter anderem von Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen, verschiedenen lokalen Anti-Hartz-Bündnissen, attac, diversen unteren DGB-Funktionären sowie der F.A.U., die zu einem eigenen schwarz-roten Block innerhalb der Demo aufruft (siehe Beilage). Außerdem signalisierte Torsten Koplin vom PDS-Bundesvorstand, daß seine Partei selbst bundesweit dazu mobilisieren wolle.

Neben der Ablehnung der Politik der Bundesregierung gibt es auch eine starke Kritik an der DGB-Führung. Davon findet man in dem Demo-Aufruf allerdings nichts mehr, weil sich diejenigen durchgesetzt haben, die die Gewerkschaften als mögliche Bündnispartner nicht unnötig vor den Kopf stoßen wollen. Tatsächlich haben einzelne Gewerkschafter eine Unterschriftenliste in Umlauf gebracht, die die DGB-Führung dazu bringen soll, selbst zu einer Großdemonstration aufzurufen. Einzelne Bezirksverbände von ver.di, darunter der Berliner, haben immerhin bereits zugesagt, die Demonstration am 1. November zu unterstützen.

In der Oktober-Ausgabe des ver.di-Zentralorgans Publik ist davon allerdings nichts zu vernehmen. Im Gegenteil: Ulrike Herrmann schreibt ausdrücklich, daß der Protest gegen die „Agenda 2010" vorläufig ausbliebe und rechtfertigt die Tatenlosigkeit des DGB damit, daß auch die Arbeitnehmer den Regierungskurs unterstützten, schließlich seien zu den vom DGB organisierten Protesten dagegen nur 90000 Menschen erschienen. Der DGB als Ganzes dürfte sich wohl erst an einer Kampagne beteiligen, wenn die Demonstration am 1. November ein Erfolg wird. Dann nämlich liefen die Gewerkschaftsspitzen Gefahr, völlig die Kontrolle über die Geschehnisse auch in ihrer eigenen Organisation zu verlieren.

Søren Jansen

 
 
 
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