Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Politik und Popularität

Ein Sammelband zum Spannungsfeld zwischen Underground und Mainstream

Der Legende nach soll vor einigen Jahrzehnten noch alles in Ordnung gewesen sein: Gegen die traditionelle, konformistische Musik der Eltern, die nur dazu diente, Herrschaft zu verschleiern und Mißstände erträglicher zu machen, setzte die Jugend ihre härtere, schnellere und lautere Musik, um das Elend der Welt anzuprangern, das Establishment zu erschüttern und die Befreiung von bürgerlichen Zwängen zu proben. Der Pop war geboren und umfaßte bald nicht nur Musik, sondern auch Literatur, bildende Kunst und Mode. Doch kurz vor der Revolution strandete der Underground im Mainstream. Die Vereinnahmungsmechanismen des Kapitalismus erwiesen sich als stärker als die Subversionskraft des Pop. Heute trauen sich die gebrannten Kinder gegenseitig nicht mehr über den Weg und verdächtigen jeden angeblich politischen Anspruch von Kunst und Lebensstil, eine bloße verkaufsträchtige Attitüde zu sein.

Die Herausgeber des Sammelbandes Alles Pop? Kapitalismus & Subversion, Marvin Chlada, Gerd Dembowski und Deniz Ünlü, lassen keinen Zweifel daran, daß sie dieser Legende nie glaubten: „Der subversive Sound ist ein Mythos", verlautbaren sie gleich im ersten Satz des Buches. Schließlich waren „Markt und Medien immer Transportmittel der Musik und ihrer Botschaften und sind nicht erst nachträglich verunreinigend hinzugekommen." Auf diese einleitenden Worte folgen dann 350 Seiten Aufsätze, Interviews, Gedichte und Manifeste unterschiedlichster Autoren, die genau das subversive Element in der Kunst vermissen, fordern, für sich beanspruchen oder bei anderen aufzufinden glauben. Was sie eigentlich unter Pop verstehen und wogegen der Widerstand sich richten soll, sprechen sie dabei nur selten an. Weder die kulturwissenschaftliche Begriffsanalyse, noch politische Grabenkämpfe sind Thema des Buches, sondern der mal tastende, mal polternde Versuch, mit den Widersprüchen zwischen Vermarktung und Antikapitalismus umzugehen.

Diese Widersprüche sind mittlerweile allerorten durchgekaut und scheinen unüberwindlich: Wer eine Botschaft zu verkünden hat, kann einer möglichst weiten Verbreitung, die nur die Massenmedien gewährleisten, eigentlich nicht abgeneigt sein. Außerdem stellt sich auch dem Künstler mit politischen Ambitionen die Frage nach der materiellen Grundlage für das eigene Überleben. Wenn sich mit Kunst kein Geld mehr verdienen ließe, bliebe sie den Wohlhabenden in ihrer Freizeit vorbehalten. Michael Hess erinnert daran, daß die sogenannten Indie-Labels sich längst damit abgefunden haben, Unbekanntes für die Major-Labels aufzubereiten, die einspringen, wenn die Kapazitäten der kleinen Firmen für eine weltweite Promotion nicht mehr ausreichen. Michael Schmidt-Salomon stellt fest, daß sich eine wirkliche Subkultur nur noch in der rechten Szene findet. Deren propagandistisches Liedgut ist schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht im Radio zu hören.

Einige werden sicherlich glauben, daß die Auswahl aus von den Massenmedien angebotenen Lebensstilen tatsächlich etwas mit Selbstbestimmung und Authentizität zu tun hat. Doch wenn die soziale Distinktion auf die Spitze getrieben wird, kann sie nur noch in Eindimensionalität und Homogenität münden: Wenn alle sich von allen unterscheiden wollen, gleichen sie sich nur umso mehr. Die Forderung vieler Rapper, auch die individuellsten Alltagserfahrungen in Musik, Kunst und Mode zu reflektieren, mag im Fall von Immigranten sinnvoll sein, kommt ihr Leben doch in der Öffentlichkeit sonst gar nicht vor. Bei deutschen Mittelstandskindern dagegen wirkt diese zunehmende Individualisierung der Szenen wie eine unnötige Sektiererei, die jeden kollektiven Kampf gegen die ökonomischen Verhältnisse erschwert. Dazu kommt die Gefahr, daß die erwünschte Pluralität von Lebensstilen in eine postmoderne Beliebigkeit abstürzt, die sich nur noch in verschiedenfarbigen Oberflächen äußert. Und die Lust auf immer Neues ähnelt nur zu sehr der wirtschaftlich so leicht verwertbaren Dynamik und Flexibilisierung. Die Tabuverletzung als künstlerisches Stilmittel schließlich verhindert jede einflußreiche Einsetzung der Provokation als politische Taktik.

Die meist selbst kulturschaffenden, mehr oder weniger bekannten Autoren stolpern allesamt über dieselben Fragen. So verschieden ihre Beiträge sind ­ Geschichte des HipHop in Deutschland, Einblicke in die Arbeit eines Kleinstverlages oder ein Porträt des Schriftstellers Rolf Dieter Brinkmann ­, so verschieden sind auch ihre Antworten: Tilman Rau etwa spricht den Schriften der sogenannten Popliteratur den Kunst- Status ab, weil sie in nur wenigen Jahren aufgrund ihres Beharrens auf ein zeitgenössisches Code- und Bezugssystem nicht mehr aktuell sein und kaum noch verstanden werden können. Marvin Chlada hingegen feiert ausgerechnet die Kunst von Joseph Beuys. Der versuchte die Standards der in Museen für die Ewigkeit aufgebahrten Bilder und Skulpturen dadurch zu subvertieren, indem er Werke schuf, die ­ mittlerweile von stolzen Sammlern erworben ­ heute mottenzerfressen von den Wänden rieseln.

So sinnvoll und brennend diese Fragen auch sein mögen, so scheinen doch mittlereile alle die Diskussion darüber überholt zu finden. Der Sammelband ist weniger eine Neuauflage der Pop-Debatte, als ihre endgültige Grablegung: Gut, daß wir darüber geredet haben, noch besser, daß es trotz allem noch Künstler zu geben scheint, die überhaupt über Politik nachdenken. Und jetzt sollten wir alle wieder an die Arbeit gehen. Welche Kunst mit den ihr jeweils eigenen Mitteln gesellschaftspolitischen Einfluß gewinnen kann, wird die Geschichte zeigen. Die Diskussionen darüber laufen Gefahr, auf der Meta-Ebene zu versanden, während konkrete Inhalte und Strategien immer weniger thematisiert werden. Ein Zitat von Gilles Deleuze, auf den in vielen Artikeln Bezug genommen wird, lädt zur Entspannung ein: „Weder zur Furcht, noch zur Hoffnung besteht Grund, sondern nur dazu, neue Waffen zu suchen." Und dieser Prozeß wird wohl nie abgeschlossen sein.

Susann Sax

> Marvin Chlada, Gerd Dembowski, Deniz Ünlü (Hg.): Alles Pop? Kapitalismus & Subversion. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2003. 19 Euro

 
 
 
Ausgabe 07 - 2003 © scheinschlag 2003