Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Experimente in der Isolation

Besser als ihr Ruf: Die Galerienszene in Friedrichshain

Friedrichshain boomt. Zumindest, was die Anzahl der Kneipen und die Höhe der Wohnungsmieten angeht. Es ist schick und trendy, hier zu wohnen und auszugehen. Aber die Kunst ist bei diesem Aufschwung an den Rand gedrängt. Ganz anders, als bei den Entwicklungen in der Spandauer Vorstadt oder der Brunnenstraße, sind hier die Galerien und experimentellen Kunsträume weder die Vorreiter, noch wirklich schmückendes Beiwerk. Im Gegenteil, sie sind eher bedroht durch die steigenden Mieten. Die Galerien, die sich in diesem ehemaligen Arbeiterviertel angesiedelt haben, sind isoliert. Es gibt kein wirkliches Netzwerk, und die Berliner Kunstszene nimmt den Bezirk nicht als Ausstellungsort wahr. Dabei gibt es gar nicht so wenige Galerien, und einige davon haben ein so interessantes Programm, daß sich auch eine Anreise aus anderen Bezirken lohnen würde.

So gibt es am Helsingforser Platz, unweit der Warschauer Brücke, die ehemals einzige Fotogalerie der DDR. Auch wenn die Trägerschaft inzwischen vom Bezirk auf den Kulturring e.V. übergegangen ist, bleibt die Galerie ihrem Programm treu. Zwar haben die Galeristen den großen Fotoboom in den neunziger Jahren verschlafen, die wichtigen Namen der Kunstmarktstars und anderer bekannter Fotografen der Düsseldorfer Schule und des Umkreises von Wolfgang Tillmanns fehlen gänzlich in der Liste der ausgestellten Künstler, doch dafür gibt es Werke der alten Meister der DDR-Fotografie und von jungen politischen Fotografen in den verwinkelten Räumen des Plattenbaus zu sehen. Wer sich für Dokumentarisches und eher unprätentiöse Fotografie interessiert, wird hier auf alle Fälle immer wieder interessante Ausstellungen finden.

Ebenfalls aus DDR-Zeiten stammt noch die Galerie im Turm, die in einem kleinen Raum, der einst für einen U-Bahn-Eingang vorgesehen war, eingerichtet ist. Trotz der etwas beengten Verhältnisse zeigt Karl-Friedrich Schmalwaßer ein vielfältiges Programm, daß sich bewußt von dem des Kunstraums Kreuzberg, der anderen bezirkseigenen Galerie, absetzt. Viele bekannte DDR-Namen sind dabei, aber nicht nur, und man sollte das Programm der Galerie auf keinen Fall darauf reduzieren. Wichtig ist dem Galeristen die Qualität der Kunst, das schnellebige Experiment überläßt er lieber anderen. Die Galerie im Turm präsentiert abstrakte und gegenständliche Künstler und häufig Zeichner, die es auf dem Kunstmarkt und in den auf Effekte ausgerichteten Kunstmedien nicht immer leicht haben. Sein Publikum kommt von überall her, über mangelnden Zuspruch kann Schmalwaßer nicht klagen. Dagegen findet die Anbindung an die Friedrichshainer Kunstszene nur begrenzt statt. Und nachdem die Schwierigkeiten um den Fortbestand der Galerie vorerst beigelegt sind, kann Schmalwaßer auch weiterhin für die Zukunft planen.

In der Nähe der Galerie im Turm, in der Richard-Sorge-Straße, hat in diesem Sommer die neue Galerie Subspace aufgemacht. Sie wird von den Künstlern Jane Morren und Heiko Blankenstein betrieben, die beide in den USA Kunst studiert haben und seit ca. drei Jahren in Berlin leben. In ihrer Galerie wollen sie vor allem Gruppenausstellungen zeigen. Einzelausstellungen wären in den USA eher unüblich und vor allem für die Besucher uninteressant, sagt Blankenstein. So zeigen sie denn auch in ihrer ersten Ausstellung sowohl Berliner als auch amerikanische Künstler, aber auch eigene Arbeiten. In der vernachlässigten Richard-Sorge-Straße mit einem Laufpublikum, das sich aus arbeitslosen Neonazis und Studenten zusammensetzt, wirken die steril renovierten Räume in dem Altbau ein wenig befremdlich. Aber Blankenstein und Morren sind sowieso der festen Meinung, daß ihr Publikum gezielt aus allen Stadtteilen zu ihnen kommen wird. Ihr Hauptgrund nach Friedrichshain zu ziehen, waren die billigen Mieten.

Dieselbe Antwort geben Sabine Schall und Ingken Wagner auf die Frage, warum sie sich denn ausgerechnet für Friedrichshain entschieden haben. Auf der Suche nach idealen Räumen im Erdgeschoß, die möglichst ruhig sind und auch viel Tageslicht haben, wurden sie in der Bänschstraße fündig. Sie setzen mit ihrem internationalen Programm auf ein Publikum, das aus ganz Berlin kommt, und empfinden die Kiezbezogenheit der Berliner als provinziell. Aus London, wo beide Frauen einmal gelebt haben, kennen sie das nicht. Ihre Galerie complice ist auch Konzertraum für experimentelle Kompositionen und steht damit in der Tradition von längst vergessenen Friedrichshainer Kunstorten der späten neunziger Jahre wie das NY in der Voigtstraße oder der Gubener 24 von Markus Schwill und Naomi Scholz. Auch bei den Ausstellungen setzen sie auf Künstler, die sich auf die zwei Räume einlassen und ortsbezogene Arbeiten realisieren, wie z.B. Mario Asef und Roman Fehr.

Mit den interessantesten Ausstellungen in Friedrichshain kann sicher das Autocenter aufwarten. Immerhin stellen hier Künstler wie Jonathan Meese, Amelie von Wulffen und Olafur Eliasson aus. Angenehm ist, daß es den Ausstellungsmachern hier nicht um name dropping, sondern um die Sache geht. In einem 90 m2 großen White Cube, einem Raum, wie man ihn in Berlin leider viel zu selten hat, präsentieren Maik Schierloh und Joep van Liefland mehrmals im Jahr ungewöhnliche Ausstellungen. Die immer nur wenige Tage geöffneten Präsentationen sind es allemal wert, besucht zu werden, und manch ein Künstler hat seine hier erstmals gezeigten Arbeiten später z. B. im Büro Friedrich präsentiert. Da kein finanzieller Druck und keine Absicht zum Verkauf bestehen, können hier Künstler Experimente durchführen, die sie sich in einer kommerziellen Galerie nicht unbedingt erlauben würden. Nicht zuletzt wird das durch eine zusätzliche Unterstützung durch den benachbarten Club Lovelite ermöglicht.

Man sieht an diesen Beispielen, daß es in Friedrichshain eigentlich Ausstellungen von sehr hohem Niveau gibt und auch keinesfalls eine Monotonie der vertretenen Kunstrichtungen herrscht, sondern eine erfreuliche Bandbreite. Gerade deswegen stellt sich die Frage, warum Friedrichshain als Galerienstandort nicht wahrgenommen wird und viele Künstler, so z.B. Claudia Hausen, hier zwar gerne arbeiten, dann aber doch lieber andernorts ausstellen.

Eines der Probleme ist sicherlich, daß die meisten Galerien von Künstlern betrieben werden ­ so etwa die Galerie 35 in der Simon-Dach-Straße oder die Galerie Medial in der Gärtnerstraße ­ und von daher oft die nötige Distanz zur Kunst und den Künstlerkollegen fehlt und es mitunter an der fachlichen Vermittlung der Ausstellungen mangelt. Zudem liegen die Galerien zu weit verstreut im Kiez. Fußwege von 30 Minuten und mehr zwischen den einzelnen Ausstellungsorten nimmt nicht jeder gern in Kauf.

Der wichtigste Grund aber ist, daß Friedrichshain einfach den Ruf eines eher langweiligen Studentenkiezes hat und alles, was dort kulturell veranstal-tet wird, oft den Beigeschmack von selbstverwirklichender Bastelarbeit hat. Schuld daran sind gerade auch jene Initiativen, die eigentlich dazu gedacht sind, die Szene in Friedrichshain zu verknüpfen und nach außen hin bekannt zu machen. So kopiert die „Spektrale" das schon in Neukölln gescheiterte Programm der 24 Stunden und glaubt, Quantität ersetze Qualität. Hauptsache, viele machen mit, scheint das Motto zu sein, und bedenkenlos werden im Kunstteil des Programmheftes auch Ausstellungen in Cafés und Shops, die Tattooaufkleber fertigen, gelistet. Mit diesem Verständnis von bildender Kunst bewirkt man einen langfristigen Imageschaden, den man nur schwer wieder beheben kann.

Auch die monatlichen Galerienrundgänge, Mimosa genannt, von Pablo Reese von der Galerie ODER 24 haben das Bild eines Bezirks voller Bastelläden von unterbeschäftigten Studenten und Hausfrauen, die alles, woran sie mal ihre Hand angelegt haben für Kunst erklären, geprägt. Resultat ist, daß Ausstellungen in Friedrichshain von an Kunst interessierten Menschen in Berlin oft gar nicht wahrgenommen werden. Die mangelnde Resonanz hat so manchen dazu bewogen, sein Galerienprojekt aufzugeben, andere haben dem Bezirk den Rücken gekehrt, so z.B. die Galerie Engler & Piper, die einen viel stärkeren Zuspruch hat, seitdem sie an der Kastanienallee ausstellt, und die Galerie Expo 3000, die nun u.a. in Wien und München ihre Ausstellungen präsentiert.

Dabei geht es den ernsthaft arbeitenden Galeristen in Friedrichshain gar nicht um ein hervorragendes Image als Grundlage für das Geldverdienen, denn damit rechnen sie eh nicht. Vielmehr wollen sie, daß ihre Arbeit ernst genommen wird. Und letztendlich bietet der Kiez immer noch genügend Freiräume für eine neue Generation unkonventioneller und experimenteller Ausstellungsräume.

Spunk Seipel

> Medial, Gärtnerstr. 26,

> Fotogalerie, Helsingforser Platz, www.kulturring.org

> Galerie 35, Simon-Dach-Str. 35, www.galerie35.de

> Galerie im Turm, Frankfurter Tor 1,

> Complie, Bänschstr. 20, www.e-complce.de

> Subspace, Richard-Sorge-Str. 30

> Autocenter, Simplonstr. 20

> ODER 24 und Mimosa, Oderstr 24, www.oder24.com

> Die „Spektrale" findet vom 26 bis zum 28. September statt, www.spektrale.de; www.friekultur.de

 
 
 
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