Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Grau und Weiß

Knasttexte (V)

Der folgende Text entstand in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Seit einem Jahr trifft sich dort alle zwei Wochen eine Literaturgruppe und Schreibwerkstatt, in der die Gefangenen eigene Texte lesen und diskutieren. scheinschlag veröffentlicht in Kooperation mit der Literaturgruppe in loser Folge Ergebnisse dieser Arbeit.

Der Sonnenschein kitzelte in seiner Nase und weckte ihn auf. Sein schlaftrunkener Blick ging zum Fenster, wo die Sonne ihre Strahlen unverdrossen durch die engmaschigen Gitter hindurchschob und die sonst so grauen Wände seiner kleinen Zelle hell und trügerisch freundlich erleuchtete. Ihr Licht wanderte über das karge Inventar: den Stuhl, den festgeschraubten Tisch, den viel zu kleinen Schrank, die Wasch- und Toilettenecke und das Eisenbett, in dem er noch immer lag und überlegte, ob es wirklich Sinn machte, aufzustehen.

Sein Zeitgefühl war wieder einmal verloren gegangen. Wenn ein Tag wie der andere ist, ohne Abwechslung, bestimmt von täglicher Routine und endloser Langeweile, dann verlieren Wochentage, ja Monate an Bedeutung. Auch die Uhrzeit ist nicht mehr wichtig. Man bestimmt den Tag anhand der Mahlzeiten.

Zu Beginn versucht man noch, tätig zu sein. Lesen, saubermachen, Briefe und Gedichte schreiben, träumen, den Hofgang nutzen. Nach einer Weile läßt das nach. Er hatte alles doppelt und dreifach gelesen, was er in die Finger bekommen konnte. Hatte begonnen, die Schmierereien seiner Vorgänger von den Wänden zu entfernen. Ihm fehlte der Stoff für Briefe oder Gedichte. Es passierte ja nichts, worüber sollte man schreiben? Und an wen? Immer weniger Menschen blieben ihm im Lauf der Zeit, immer weniger wollten oder konnten sie an seinem Leben teilhaben oder ihn in das ihrige schauen lassen.

Man verfällt in Lethargie, mag mit keinem mehr reden. Die Lebens- und Leidensgeschichten der anderen kennt man fast schon so gut wie die eigene. Man hat keinen Fernseher, kein Radio und sehnt sich doch nach Musik, träumt den Tag über im Halbschlaf von lauter Banalitäten. Eis essen, durch eine belebte Stadt bummeln, über Felder laufen.

Zu Beginn war das Essen noch ein Thema. Man hatte geschimpft und gelästert, es als Zumutung und Fraß bezeichnet und es kaum angerührt. Inzwischen war es ihm egal. Gleichgültig schob er Sachen in den Mund, die er da draußen, in der anderen Welt, nicht eines Blickes gewürdigt hätte.

Die Anstaltskleidung juckt, und vom ewigen Kratzen hat er überall Schürfwunden, doch auch das ist egal. Alles ist egal. Da draußen geht das Leben seinen Gang und hat einen längst vergessen.

Unauffällig ist er. Höflich, zurückhaltend, respektvoll den Beamten gegenüber, deren Dialekt er immer noch kaum versteht und die ihn spüren lassen, daß man ein Außenseiter ist. Die Klappe geht auf, und jemand wirft Brot herein. Die Hausarbeiter sorgen meist nur für sich und ihre Lieblinge. Er ist der Sonderling, der Fremde, der nicht mal die Witze richtig verstehen kann.

Mauern hat man um sich gebaut. Innerliche, schützende. Man will nicht mehr verletzt werden, will zurückschlagen, sich wehren ­ und tut es doch nie.

Wenn er den Stuhl ganz nahe an das hohe Fenster stellt, kann er auf Zehenspitzen einen Blick nach draußen erhaschen. Einige Baumwipfel sind zu sehen und Vögel, die am Himmel kreisen. Nachts gibt es immer Krach. Irgendwo singt einer, streiten welche, andere unterhalten sich durch die Fenster, und alle müssen zuhören. Nebenan stöhnt jemand. Ob vor Lust oder vor Schmerz, ist nicht auszumachen. An Schlaf ist nicht zu denken.

Er fühlt, wie die Kräfte schwinden, die Träume mit jedem Tag dunkler werden und die Gesichter zu einheitlichen Masken verschwimmen.

Gelernt hat man natürlich auch. Vor allem zu verdrängen, zu vergessen, auszublenden. Das Gefühl von Recht und Unrecht ist einem dumpfen Empfinden des Zwangs gewichen. Man fühlt sich als Versager und hat die Hoffnung im tiefsten Schmutz begraben.

Die Toilette gluckert wieder einmal, und gleich wird der Raum erfüllt sein vom fauligen Gestank der alten Rohre. Egal. Geschmacks-, Geruchs- und Farbsinn sind längst gewichen. Alles ist grau. Nur ein weißer Fleck ist übriggeblieben und sticht ins Auge. Das frische Anstaltshemd. Es hängt am Schrank. Blütenweiß, rein und unschuldig.

Stimmen. Man unterhält sich mit sich selbst, erzählt sich wieder und wieder das Leben, bedauert sich selbst und lügt sich an.

Die Sonne verschwindet. Graue Wolken schieben sich vor sie. Das Weiß des Hemdes beginnt zu verblassen. Das Grau kriecht aus allen Ecken und Ritzen auf einen zu. Panik macht sich breit. Der letzte Sonnenstrahl erlischt und mit ihm die letzte Freude, der letzte Funke.

Nein, dieses Mal wird er nicht klein beigeben, sich nicht vom Grau einsperren lassen, nie wieder. Er geht zum Schrank, zur weißen Rüstung des Lichts, zum Hemd. Automatisch arbeiten die Hände, als ob sie nie anderes getan hätten.

Nur Trotz.

Der Stuhl, das Fenster, das Hemd, der Knoten, ein Blick, Dunkelheit.

Nachtrag: In meiner Zeit in einem bayrischen Gefängnis erlebte und hörte ich, wie sich innerhalb kurzer Zeit zwei Inhaftierte das Leben nahmen. Einer davon war wie ich aus Berlin und noch nicht mal 25 Jahre alt.

> Name: Uwe Werner

Alter: 34

Herkunft: Berlin

Beruf: Mediendesigner bei einer Werbeagentur

Lebensmotto: Versuche das Unmögliche möglich zu machen.

Haftdauer: 03/2002 ­ 01/2004

 
 
 
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