Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kulturwirtschaft ohne Rigipswände?

In den Kreativendörfern sind die kleinen Lösungen im Kommen

Das hört man gern – der Pfefferberg an der Schönhauser Allee wird wieder besiedelt. Mit dem Bau der „attraktiven Lofts", des „Wellnessbereichs" oder des Hotels mit Tiefgarage, mit dem die Pfefferwerk Entwicklungs GmbH für die Zukunft wirbt, hat man es nicht mehr so eilig. Gerührt berichtete die zitty, wie die Clubs und Ateliers zurückkehren. Tatsächlich: Immer häufiger stößt man zwischen den mehr oder weniger reparaturbedürftigen Gebäuden der ehemaligen Brauerei wieder auf Veranstaltungen, und wer für seine Kunst oder Geschäftsidee einen Raum braucht, muß nicht gleich ein sogenanntes Start-Up mitbringen oder ein Zentrum für Modedesign.

Auch im leerstehenden Kaufhaus Jandorf an der Brunnen-/Ecke Veteranenstraße in Mitte sind die ganz großen Pläne fürs erste vom Tisch. Jahrelang hatte man auf die Ankunft der New Economy gewartet; zuletzt wurde eine illustre Schar von Kultur-Managern und UdK-Professoren damit beauftragt, „kulturwirtschaftliche" Marketingkonzepte zu entwickeln, die sie ungeniert „Utopie" tauften und bald beiseite legten.

Inzwischen bahnt sich eine andere Art von Projektentwicklung an: Man fängt erst mal an; Hauptsache, die halbsanierten Räume werden irgendwie bespielt. Neben Nike oder der London Dance Academy sind auch schlichte Modeschneider und Musikproduzenten aufgefordert, es sich gemütlich zu machen. Zwar kommt das alles recht poppig daher, sollen die Schneider „fashion ware" machen, die Büros „offices" heißen und die Firmen „flag-ship-stores" betreiben. Aber ansonsten hat man keine hohen Ansprüche; auf Tiefgaragen, teure Umbauten und aufwendige Werbekampagnen wird verzichtet. Stattdessen gab es im Sommer erste Veranstaltungen, ab Oktober sollen regelmäßig Ausstellungen, Konzerte und Modeschauen stattfinden. Währenddessen werden, wenn der Plan aufgeht, auch schon die ersten Mieter kommen.

Die Idee der Kreativendörfer geht seltsame Wege. Hochglanzbroschüren, Rigipswände, verglaste Innenhöfe galten doch als Garanten für professionelle Kreativität, mithin für Zukunftsfähigkeit. Es galt als ausgemacht, daß ohne massive Umbauten und Umstrukturierungen nur die Pleite, der Verfall bliebe; nur das Marketing eines finanzkräftigen Projektentwicklers, hieß es, könne die maroden Brauereien, Fabriken und Kaufhäuser dorthin bringen, wo sie hingehören ­ auf den Immobilienmarkt.

Das sogenannte Viktoria-Quartier, die ehemalige Schultheiss-Brauerei am Kreuzberger Viktoriapark, schien für dieses Schicksal bestens gerüstet. Unter Führung der Deutschen Bank hatte man Ende der Neunziger begonnen, die 50000 Quadratmeter Nutzfläche für Start-Ups der Medienbranche herzurichten. Das Gelände galt als gut gelegen, die Gebäude als wunderschön und hinreichend intakt. Auch hier große Pläne: Gärten, Büros, Luxuswohnungen, Gastronomie und Freizeitspaß ­ an nichts sollte es den Helden der New Economy fehlen. Mit der Berlinischen Galerie hatte man sogar einen Vertreter der Hochkultur im Boot.

Nur die Start Ups wollten nicht kommen. Die „Fabriklofts", „Pent-" und „Townhouses", in denen modernes Arbeiten und ebensolches Wohnen so perfekt vereint werden sollte, waren zu teuer und eigentlich auch nicht so schön: Es häuften sich Beschwerden über Baumängel. Das Projekt blieb stecken, das Gelände wurde weiterverkauft. Inzwischen ist die alte Schultheiss-Brauerei eine Investitionsruine. Die zwei dutzend Mieter, die man auf das Gelände hatte locken können, sind wieder weg; nur der Botschafter Usbekistans soll noch dort wohnen.

Otto Witte

> Weitere Informationen zum Kaufhaus Jandorf in der Sanierungsbeilage Mitte (nur in Teilen der Printausgabe).

 
 
 
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