Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Berlin verkehrt

Ein heißer Sommer für die Berliner Verkehrsbetriebe

Da war die Sommerpause gut gefüllt: Den ganzen Juli über machte der Berliner Nahverkehr Schlagzeilen – leider durchweg negative. Schuld waren keine Baustellen oder Unfälle, sondern das leidige Geld. Die Verkehrsbetriebe wollen partout nicht profitabel werden.

Vor vier Jahren hatte die BVG vertraglich zugesichert, sich bis 2008 zu einem selbstfinanzierten, solide geführten Unternehmen zu mausern. Jetzt hat sie Rekordschulden und kündigt einen wilden Sparkurs an. Der Vorstand will 30 Prozent der Mitarbeiter kündigen und dem Rest 30 Prozent weniger Lohn zahlen. Außerdem heißt es, daß bis zu ein Zehntel des Busverkehrs eingespart werden soll. Die S-Bahn drohte gar mit Streckenstillegungen. Seit Juni behält der Senat die monatlichen Bundeszuschüsse, die der S-Bahn zustehen, kurzerhand ein. Die Mittel sind ohnehin mehr als knapp; die Fahrkarteneinnahmen sinken, während die Landeszuschüsse schon seit Jahren bestenfalls stagnieren.

Die erste Reaktion sind neue Tarife. Seit 1. August gelten für die meisten Fahrkarten höhere Preise, aber noch bevor die Erhöhung verdaut ist, kündigt sich schon die nächste an. Nächstes Jahr soll ein Nur-Hinfahrt-Fahrschein eingeführt, das Berlin-Ticket hingegen wieder abgeschafft werden; die Tageskarte wird billiger, die Schülerkarte aber teurer, ebenso die Fahrradmitnahme.

Für 2006 könnte sogar die beliebte und erfolgreiche Monatskarte zur Disposition stehen. Dann soll ein völlig neues Tarifkonzept her, das an Undurchsichtigkeit selbst die gescheiterte Preisreform der Bahn in den Schatten stellen dürfte. Die Idee: Jede einzelne Fahrt wird gemäß Entfernung, Geschwindigkeit, Tageszeit und Häufigkeit der Benutzung abgerechnet. Ein elektronisches Kartensystem bucht die Endsumme ab und registriert nebenbei die Wege und Abwege eines jeden Fahrgasts, was bereits den Datenschutz hat aufmerken lassen.

Auch mit dem neuen System würden selbstverständlich Tariferhöhungen einhergehen. 50 bis 100 Mio. Euro kostet die Installation allein bei BVG und S-Bahn ­ nicht inbegriffen die Züge des Regionalverkehrs, was den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) das Leben kosten könnte. Denn ein Verbund braucht nun einmal einheitliche Tarife.

Aber es kommt noch dicker. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder strebt eine völlige Umordnung des öffentlichen Nahverkehrs an. Dabei bezieht er sich auf ein EU-Forschungsprojekt namens „Tellus", in dessen Rahmen ein Runder Tisch Planspiele zu Organisations- und Strukturfragen entwickelt hatte. Heraus kam ein Strategiepapier, mit dem keiner der Beteiligten so recht zufrieden war ­ außer Strieder, der den Autoren offenbar seine Wünsche ins Heft diktiert hatte.

Das umtrittene Papier sieht vor, bis zum Jahr 2015 BVG, S- und Regionalbahn in rund 20 Einzelbetriebe zu zerschlagen, die sich dann gegenseitig niederkonkurrieren sollen. Die BVG wäre dann nur noch eine „Verkehrs-Servicegesellschaft", also eine Art Koordinator. Mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die die Streckenlizenzen verwalten würde, und dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, der eigentlich für Koordination zuständig ist, wären dann drei Institutionen mit der Neuordnung des Berliner Nahverkehrs beschäftigt, was Strieder nicht daran hindert, ab 2004 einen vierten ­ privatwirtschaftlichen ­ „Projektkoordinator" sowie externe Gutachterfirmen mit dem Projekt zu betreuen. Konkurrenz belebt das Geschäft ­ das gilt wohl auch für die Produktion von Verkehrskonzepten. Was außer Geschäften herauskommt? „Innovation" natürlich. Ein erster Vorgeschmack: „BVG" soll künftig „Berlin Verkehrt Gut" bedeuten. Dann kann ja nichts schiefgehen.

Nun erschöpft sich die Liberalisierung des Nahverkehrs natürlich nicht in Marketing-Gags und ausuferndem Controlling. Sie ist schon lange eine Forderung nicht nur Dienstwagen fahrender Wirtschaftsliberaler, sondern auch vieler Umweltverbände und unabhängiger Spezialisten. Im Abgeordnetenhaus sind alle Fraktionen dafür; selbst die PDS hat prinzipiell nichts gegen Wettbewerb. Ihre verkehrspolitische Sprecherin Jutta Matuschek zieht zwar den Ausdruck „Vergleichbarkeit" vor. Auch möchte sie, anders als Strieder, die öffentliche Ausschreibung der Verkehrsleistungen möglichst begrenzen. „Die führen meistens dazu, daß der Bewerber mit den niedrigsten Löhnen den Auftrag bekommt." Aber wenn Sozialdumping „rechtlich einwandfrei" ausgeschlossen würde, sei eine Liberalisierung des Nahverkehrs durchaus sinnvoll.

Bisher allerdings hat die Privatisierung öffentlicher Aufgaben in der Regel ein Sinken der Löhne und Standards zur Folge ­ genau darum ist sie ja billiger. Im Falle der BVG kann man das anhand der Fahrscheinkontrollen beobachten. Der lästige Job wird zunehmend von privaten Wachschutzfirmen erledigt, die ihren Mitarbeitern 6,50 Euro pro Stunde zahlen und eine tägliche Mindestzahl von erwischten Schwarzfahrern vorschreiben ­ eine Art Kopfgeld.

Ende August konnte die BVG stolz berichten, daß immer mehr Schwarzfahrer gefaßt und bestraft werden. 500000 sollen es bis Jahresende werden, im nächsten Jahr sogar 750000. Die brutalen Übergriffe vieler U-Bahn-Sheriffs aber, die offenbar in Hells-Angels-Clubs angeheuert wurden, sorgten auch bei der zahlenden Kundschaft für Beschwerden und trübten die Freude der Betriebswirtschaftler.

Nirgends ein Lichtblick für Bus und Bahn? Vielleicht ein kleiner: Ebenfalls in der Sommerpause erschien der neue Stadtentwicklungsplan (StEP) Verkehr, den der Senat in Auftrag gegeben hatte. Der Fahrradverkehr gilt künftig als „Handlungsschwerpunkt", die Parkraumbewirtschaftung soll ausgedehnt werden, einige Straßenbauprojekte wurden aufgegeben. Die unsinnig teure Verlängerung der U 5 wird auf „nach 2015" verschoben, wohingegen man das billige und effiziente Straßenbahnsystem wenigstens stellenweise ausbauen will. Insgesamt soll der Öffentliche Nahverkehr mittelfristig um 12 bis 28 Prozent wachsen.

„Ohne Zweifel der umweltfreundlichste StEP Verkehr", loben die „verkehrsökologischen Initiativen und Verbände" Berlins. Dennoch bleiben sie skeptisch. Erst später werde sich zeigen, „ob die Politik das halten kann, was der Plan verspricht". Eins zeigt sich schon jetzt: Es wird nicht reichen, das Problem zu privatisieren.

Johannes Touché

 
 
 
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